"premature antifascist"

Wie bereits erwähnt, wurden in den USA mit Beginn des Kalten Krieges sowohl antifaschistische ImmigrantInnen wie Ernst Bloch oder Alfred Kantorowicz, als auch amerikanische BürgerInnen, die bereits vor dem Kriegseintritt der USA gegen den Faschismus und gegen Nazideutschland kämpften, als "premature antifascist" bezeichnet.
Der Anfang dieses Jahres verstorbene Kämpfer und letzte Kommandant der Abram-Lincoln-Brigade, Milton Wolff, nennt eine seiner autobiographischen Schriften "The Premature Antifascist". Dieser Begriff war aus Sicht der US-Behörden kein Ehrentitel, sondern Anlass zu Schikane und Überwachung.
Ungefähr übersetzt mit "übereilter" oder "frühzeitiger" und etwas neutraler mit "früher Antifaschist" , ist dieser Begriff durch das Groteske seiner Wirkungsgeschichte vielleicht geeignet, als Emblem für die Rolle von Menschen zu dienen, die in irgendeiner Beziehung dem gesellschaftlichen Mainstream voraus sind. Sowas wie antizipatorisches Bewusstsein haben. Also die Übertreiber, die Wirrköpfe und die Un-Vernünftigen. Also, sagen wir wie es ist, die geistige, politische und vielleicht auch moralische Avantgarde, ob Arbeiterbewegung, Frauenbewegung, Umweltschutzbewegung, Friedensbewegung, die heutige (Anti)-Globalisierungsbewegung ...
Anfangs werden die Ideen durch die vereinte Öffentliche Meinung niedergemacht und ihre ProtagonistInnen gesellschaftlich isoliert, im beruflichen und privaten Leben beeinträchtigt und gegebenenfalls verfolgt. Auch wenn dann die Ideen mehr und mehr in vorwiegend verwässerter Form übernommen und hegemonial werden sollten, bleibt den "Frühzeitigen" zumeist wenig Dank. Sie waren eben zu früh dran. Auf ihre Weise ver-rückt. Hätten durch ihre unvernünftigen Aktionen ihrem teilweise vernünftigen Anliegen einen schlechten Dienst erwiesen. Ohne sie wäre die gesellschaftliche Entwicklung wohl rascher vorwärts gekommen. Im Grunde hätten sie diese ja eigentlich sogar behindert...
Womit wir beim unsäglichen Götz Aly sind, dem mit dem zu Archivstaub zerfallenen Herzen: für diesen zu spät Gekommenen sind die früh Wachen keine Avantgarde, sondern eher ein Störfaktor für den gegebenen gesellschaftlichen Mainstream., dem ein autopoieitisches Emanzipationsstreben als teleonomische Konstante zugesprochen wird.Dieser scheint nach Aly interventionslos, quasi von selber, sich Schritt für Schritt sowieso die schönste aller Welten zu basteln zu vermögen. Was ja durch Faschismus und Nationalsozialismus aufs Augenscheinlichste bewiesen wurde, könnte man leicht sarkastisch hinzufügen.
Wobei Autopoiesis wohl viel eher für die gesellschaftliche Frühzeitigkeit zutrifft. Der Begriff, besser die Existenz der "Frühzeitigkeit" hat dagegen was Autopoietisches an sich: Denn diese wird ja erst dazu, wenn durch das Wirken der Frühen die Botschaft in ihren Grundzügen umgesetzt werden kann, also, um es ein wenig pampig zu sagen, in die Zeitlichkeit getreten ist. Das heißt, die Frühzeitigen sind in ihrer gesellschaftlichen Praxis die Bedingung der Möglichkeit zur Konstituierung ihrer eigenen Frühzeitigkeit.
Was irgendwie blöd ist. Denn wenn sie nicht machen, was sie tun - Weltrevolution etwa - dann geschieht es nicht, und sie sind nicht nur nicht Frühzeitige, sondern nichts von gar nichts, weil ja das nicht geworden ist, von wo aus sie als "Prematurierer" gescholten hätten werden können.
Was noch viel blöder ist, wie wir anhand der nicht eingetretenen Weltrevolution leicht überprüfen können.

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