Happy Birthday Neolib!

Der "Geburt des Neoliberalismus" widmet die ZEIT 33/08 einen Artikel, in dem einleitend geschrieben steht:

Vor 70 Jahren beschloss eine internationale Gruppe liberaler Intellektueller auf einem Treffen in Paris, die Welt zu ihrem Glauben zu bekehren. Es war die Geburtsstunde des Neoliberalismus
Zu einem Geburtstag gehören Geschenke und BibliothekarInnen schenken zumeist Bücher, zum Beispiel:
Weiters ein paar Spenden von Unwörtern als Geburtstagstorten-Kerzerln:
  • Portfolio - seit einiger Zeit wollen die SchülerInnen nicht mehr Hilfe für Referate oder Projektarbeiten, sondern für ihr "Portfolio". Was ich anfangs für ein saublödes Modewort hielt hat Methode, wie ich bei Hartmann (s.o.) unlängst lesen musste: der "Portfolio-Wahn" ist ein durchkomponiertes Konzept und nicht von ungefähr aus der kapitalistischen Ökonomie entnommen,

"ein Begriff für eine Sammelmappe von Vermögens- bzw. Wertpapierbeständen. SchülerInnen sollen von der Grundschule an in einer Mappe Arbeitsstände, Lernergebnisse, Qualifikationen und Arbeitsproben sammeln, laufend selbst bewerten und damit Fähigkeiten der Selbstrechenschaft, -orientierung an Leistungsmarken und -vereinbarungen, -evaluation, -steuerung, -reflexion zu entwickeln, standardisieren und vor allem für die Kontrolle ikm Sinne einer totalen Selbstüberwachung transparent machen" (Hartmann, S. 204)

Inzwischen sind bereits Kindergartenkinder Objekte der Begierde der Portfoliomanie.
  • KundInnen, Kundenorientierung - alle und jede/r werden zu KundInnen. Die BibliotheksbenutzerInnen für die BibliothekarInnen, diese wieder für die EDV-Abteilung. welche ihrerseits an die EDV-Firmen Aufträge erteilt, die vom "Kunden BibliothekarIn" gemeldeten Defekte zu reparieren, damit die KundInnen BüchereibenutzerInnen wieder einen funktionierenden Opac haben, und somit ein positives Feedback über den Dienstleister Bibliothek geben, was die BibliothekarInnen in die Lage versetzt, auch dem Dienstleister EDV-Abteilung eine günstige Rezension zu verpassen, worüber sich die EDV-Abteilung freut und in ihrem Leistungsbericht vermerkt, womit künftig neue KundInnen sowohl aus dem magistrats- als auch aus dem privaten Wirtschaftsleben gewonnen werden sollen. Erwähnte ich schon, dass seit 5 Wochen in unserer Bücherei ein toter KundInnen-PC steht?
Aus dem Obigen lugt schon das nächste Unwort hervor:
  • Evaluierung - beispielsweise wenn es darum geht, Büchereien erweiterte Öffnungszeiten zum Nulltarif aufzuschwatzen, wie bereits anhand eines konkreten Evaluierungsprozesses beschrieben.
Als Geburtstagsständchen für das greise Geburtstagskind, für das es hoch an der Zeit ist, in den Himmel der Hayek, von Mises, Friedman, Pinochet und Reagan einzukehren, schlage ich folgendes aus dem Vorwort von "Cluster" vor:

"Wissen sei Macht, hat vor 100 Jahren ein Arbeiterführer gesagt - die Wissensproduktion in McKinsey-Zeiten scheint hingegen den Möglichkeitsraum und Möglichkeitssinn des je einzelnen bis auf einen schmalen Korridor zugestandener Wahlalternativen zu verengen. Sie setzt immer schon Anpassung und Angleichung subjektiver Potentiale und Fähigkeiten voraus, die darum systematisch von Kindesbeinen an domestiziert, beschnitten und auf das Wettbewerbsfähige hin formiert werden - manchmal sogar in besten 'erzieherischen Absichten'. ... Wir sollten ein aktives Interesse an einer neuen Dialektik der Wissensproduktion formulieren, die Chancen eröffnen könnte, dass Möglichkeitsräume und -sinne wieder gedehnt und geöffnet werden. ... Unsere Aufgabe könnte es sein, angesichts der technologisch erzeugten grenzenlosen Scheinmöglichkeiten antithetisch auf dem authentischen Bezug zum Sozialen zu beharren. ... Die Zeit läuft gegen uns. Aber, dass es 'so weiter ginge', wäre, nach Walter Benjamin, die Katastrophe. Haben wir eine Wahl, Sisyphos?

watch the word - 2008.08.10, 21:42

Geschichte der Gouvernementalität.
Vorlesungen am Colleges de France 1977/1978,
in 2 Bänden.

http://www.perlentaucher.de/buch/18461.html

haftgrund - 2008.08.10, 23:23

genau das!
Ich wollte den Begriff "G" vermeiden, weil der oft abschreckend wirkt, vor allem, wenn ich ihn auszusprechen versuche :-)
Daher habe ich nur den Titel der zweiten Vorlesugnsreihe angeführt, die sich im Eigentlichen mit dem Neolib befasst.
watch the word - 2008.08.11, 09:49

"G" gggg grrr?

:-) Du machst eine Sammlung grauslicher Wörter/Begriffe und willst dann das "G"-Wort umgehen? :-)

lustig, die unterschiedliche Wahrnehmung: ich teile Dein Schütteln im Angesichts dieser Begriffe, aber für mich ist gerade das G-Wort keines, bei dem sich das Schütteln einstellt. Biopolitik viel schlimmer. Pastoralmacht. Subjektivierung des Selbst. Evaluierung. Hayek, Exzellenz, Lohnnebenkosten, Optimierung, Rationalisierung, Privatisierung, ...

man muss sich mal den Begriff "Privatisierung" vor dem Hintergrund der Gesamtentwicklung, der Sprachorganisation und schließlich vor dem Hintergrund der heutigen Realitäten bewusst machen. Das Wort ist uns viel zu selbstverständlich.

haftgrund - 2008.08.11, 21:51

das mir! :-)
gemeint habe ich, dass jemand, der den Begriff nicht kennt, konzentrationsmäßig gleich mal aussteigt; und wer ihn kennt, wird sich eher gegen eine Überbeanspruchung dieses m.E. sehr brauchbaren Tools aus Michels Werkzeugbox wehren. Und ich fange tatsächlich jedes Mal zum Stottern an, wenn ich gou -ver - ne - men - ta - li - tät in einen Satz hineinbringen will :-)
Und G. würde ich zwar in eine Reihe mit Biopolitik, Pastoralmacht, Subjektivierung stellen, da diese ebenfalls als Erkenntnistools dienen; Evaluierung, Exzellenz, Lohnnebenkosten, Optimierung, Rationalisierung dagegen werden von Lügnern zum Zweck der Lüge gebraucht; haben keinen Erkenntnis-, sondern einen Vernebelugnswert quasi.
Privatisierung aber sagt, was es bedeutet: Raub.
Und Hayek ist tot :-)

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