Demokratie, Freie Software
In einem lesenswerten Artikel von F.Naetar "Wie hältst Du es mit der Demokratie?" aus den Grundrissen wird der Demokratiebegriff in seinem Fetischcharakter "wiederentdeckt" bzw. versucht, sich seinem zwieschlächtigen Charakter zu nähern. Folgender Abschnitt behandelt Entscheidungsprozesse in free-software-Projekten.
Das grundlegende Prinzip einer Demokratie – in einer Entscheidungsabstimmung zählt jeder gleich – ist in keiner der „free software“-Initiativen realisiert. Im bekanntesten und größten Beispiel Linux gibt es einen definierten Prozess, wer an solchen Entscheidungen welches Gewicht hat. Im Prinzip handelt es sich um eine Zählung nach Verdienst. Wer mehr für das Projekt geleistet hat, (in Form von akzeptierten Beiträgen) hat mehr Entscheidungsrechte. Generell werden die vorgeschlagenen und diskutierten Beiträge von einem harten Kern von Hauptentwicklern beurteilt – nach einer offenen und freien Debatte unter allen Interessenten. Die letzte Entscheidung im Fall der Uneinigkeit hat in diesen Projekt der Gründer Linus Torvald, der deshalb auch als der „benevolent dictator“ – wohlwollender Diktator – bezeichnet wird.Es scheint mir, dass es hier offen gehandhabt wird, was in Gruppenprozessen ebenso aber verdeckt abläuft: Entscheidungen treffen im Grunde die in der Gruppe anerkannten Autoritäten mit Modifikationen durch Autoritäten der zweiten Garnitur. Wenn ich mich richtig erinnere, hat es die Beschreibung dieses Prozesses bereits bei Robert Michels, Soziologie des Parteiwesens gegeben. Allerdings ohne dies als quasi neudemokratischen Ansatz anzusehen, wie im vorliegenden Artikel. Was insofern ungerecht ist, als F.N. sich unmittelbar im Anschluss an obiges Zitat "Überlegungen von Alain Badiou ins Spiel" bringt. Jedenfalls eine spannende Sache.
Natürlich gibt es theoretisch immer die Möglichkeit, wenn man mit den Entscheidungen absolut nicht einverstanden ist, sich abzuspalten und ein eigenes Projekt zu begründen. Das ist auch schon einige wenige Male passiert und bei einem größeren Fork kam es sogar nach einiger Zeit zu einer Wiedervereinigung mit dem Hauptprojekt, aber wenn ein Projekt wie z. B. Linux eine derart große Menge an Entwicklern in Bewegung setzt, ist ein Austritt aus der Gemeinschaft nur dann erfolgreich, wenn gegen wichtige und gut begründete Vorschläge entschieden wurde und die Entwickler hinter den Vorschlägen entsprechendes Gewicht haben.[19] Es gibt zwar in anderen „free software“-Projekten auch Formen der Abstimmung, bei der jeder gleich zählt, aber um in den Kreis der für eine Abstimmung berechtigten einzutreten, bedarf es entsprechender Beiträge – also wieder nach Verdienst. Nicht zufällig sind diese „demokratischen“ Formen eher dort anzutreffen, wo sich Firmen mit eigenen von ihnen angestellten Entwicklern an diesen offenen Projekten beteiligen. Hier gibt es ja nach Größe des Beitrags dann verschiedene Klassen von Mitarbeitern und in der obersten Klasse kann dann unter den „Gleichen“ entschieden werden. Meiner Meinung nach zeigen daher die tatsächlich existierenden Projekte, dass ein politischer Begriff wie Demokratie diese Formen von Selbstorganisation nicht adäquat beschreibt. Ich kann mir auch nicht wirklich in diesen Projekten einen Entscheidungsprozess bezüglich technischer Fragen vorstellen, der nach dem Prinzip funktioniert: Jeder entscheidet mit und hat das gleiche Stimmgewicht.
Trackback URL:
https://haftgrund.twoday.net/stories/3127801/modTrackback