Wiener BibliothekarInnen haben immer sonnig zu sein


Was hat am folgenden Kurierartikel über die Hauptbücherei die Abteilungsleitung der Magistratsabteilung 13 so zu erregen vermocht, dass sie der im Artikel zitierten Bibliothekarin und dem Leiter der Hauptbüchereil ihre Huld zu entziehen droht?

BUCHSTABENGETREU

Es herrscht buchstäblich und sprichwörtlich ein Gewusel auf dem Kinderplaneten Kirango im 3. OG (Obergeschoß) der Wiener Hauptbücherei. Bücher, Hörbücher, Videos, DVDs, Computer-Spiele auf CD - vieles, was der junge Mensch von heute für die Schule und fürs Leben braucht, wartet hier, entlehnt zu werden.
Noch etwas macht den Mini-Planeten so attraktiv: Es sind die Erwachsenen, die auch zuhören, wenn irgendwo der Kinderschuh drückt. Und der drückt oft. Nur wenige Schritte von der modernen Bücherei am Gürtel entfernt sind jene Familien zu Hause, die ihren Kindern keinen Reichtum und kaum Aufmerksamkeit bieten können. Die Kinder kommen aus armen Verhältnissen.

Verbuchung
Mitten drin' im Gewusel, an der Informationstheke, sitzt Beate Wegerer, die Chefin auf Kirango. Aus eigener Erfahrung weiß sie, dass eine städtische Bücherei bereichernd wirkt. Viele Stunden ihres Lebens hat sie in der Zweigstelle in der Zirkusgasse verbracht.
Als Schülerin entlehnte sie dort Bücher und konnte dabei Aha-Erlebnisse für sich verbuchen. Als Bibliothekarin war sie dort selbst für die Verbuchung zuständig.

Entfaltung
Schon mit 19 wollte Wegerer in einer Bücherei arbeiten: "Ich hatte damals das Gefühl, dass einem dort zahlreiche Entfaltungsmöglichkeiten geboten werden." Dieses Gefühl sollte sie nicht täuschen. Nach ihren Lehrjahren in einer Zweigstelle in Mauer und mehr als ein Dutzend Lernjahren in den Filialen in der Neustift- und ihrer lieb gewonnenen Zirkusgasse erlebte sie den Umzug der Hauptbücherei live mit. Von der Skodagasse in das neugebaute Raumschiff am Urban-Loritz-Platz. "Eine absolut spannende Phase meines Berufslebens."

In den Untergeschoßen des Raumschiffs, dort, wo nur Mitarbeiter Zutritt haben, stapeln sich täglich Bücher, die wieder in die Regale zurückgestellt werden müssen. Eine Sisyphus-Arbeit für die hier Beschäftigten. Kaum steht ein Buch im Regal, wird es wieder ausgeborgt. Bücher wie Mitarbeiter - ständig in Bewegung.
Die 43-jährige Abteilungsleiterin ist keine, die jammert. Die tägliche Arbeit mit Büchern, mit Medien, wie man heute in Anspielung auf das digitale Angebot sagt, sei für sie "in hohem Maß inspirierend". Wobei sie unterstreichen will: "Zeit zum Lesen habe ich persönlich nur am Wochenende und im Urlaub."
Auch das alte Klischee vom verstaubten Beruf, vom leicht weltfernen Bücherwurm trifft längst nicht mehr zu: "Wir haben hier täglich mit Menschen zu tun."
Schon bald werden bei ihr die ersten Kataloge der Buchverlage eintreffen, fürs Frühjahr 2008. Dann mutiert die Bibliothekarin zur Buchhalterin. Zu entscheiden gilt es, welche Neuerscheinungen angekauft werden.
Grenzen in der Riesen-Flut an neuen Büchern sind durch das Budget gesetzt. Beate Wegerer kann die Entlehner jedoch beruhigen: "Nach der großzügigen Investition in dieses Gebäude wird, wenn überhaupt, eher beim Personal als bei der Hardware gespart."
Kein konfliktfreies Thema: Vier Mal sei man zuletzt evaluiert worden. Dabei wurde auch mit der Stoppuhr gemessen, wie lange ein Entlehnvorgang dauert. Doch was die Evaluierer nicht evaluieren konnten oder wollten, ist, dass eine Bücherei anders zu bewerten ist als eine Autofabrik.
Die erfahrene Fachfrau erzählt: "Wenn wir Kindern hier eine Art Hortersatz bieten, wenn ältere Menschen bei uns ihre Krankengeschichte loswerden können, ist dies auch eine Leistung der Bücherei." Eine Leistung, die nicht so wie Stückzahlen gemessen werden kann.
Derzeit tendieren die Büchereien jedoch eher in Richtung Bank oder Flughafen. Um am Ende auch Personal einzusparen, wurden Geräte für Selbstverbuchungen eingerichtet. Zuhören können die sicher nicht, Buchtipps können sie auch nicht abgeben.

Modernisierung
Das Resümee der Bibliothekarin ist dennoch nicht pessimistisch, im Gegenteil: "Früher waren die Büchereien ein bisserl eine verschlafene Angelegenheit, heute sind sie Teil einer dynamischen Entwicklung." So hätten auch die kleinen Zweigstellen von der Hauptbücherei profitiert. In Wien war ihnen vor ein paar Jahren der sichere Tod vorausgesagt worden. Danach schaut es derzeit nicht aus.
"Kurier" vom 24.09.2007 Seite: 24 Ressort: Leben

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