ÖGB-Reform basismäßig

Die für alle offene Regionalkonferenz zur ÖGB-Reform findet am 9.10.06 im geschichtsträchtigen großen Saal des Gewerkschaftshauses der Gemeindebediensteten statt. Und bei meinem Eintritt erblicke ich auf Anhieb die Zukunft der Gewerkschaft in Gestalt von Mikulasch und Wukovitsch. Und Kurt Obermülner. Zirka fünfzig TeilnehmerInnen haben sich eingefunden und harren in den Sesselreihen, was vom Podium kommen wird. Dort sitzt ein leicht grämlich dreinblickendes älteres Männlein, welches sich später als Zentralsekretär der Gewerkschaft für Kunst, Medien, Sport, Freie Berufe (KMSfB), Dr. Herbert Stegmüller, vorstellt. Zu seinem Team gehören ein als Bildungssekretär bezeichneter Mann, der ebenfalls am Podium sitzt, eine jüngere Frau von der Jugendabteilung und zwei jüngere Männer, die gleich Bodyguards im hinteren Teil des Saales stehen und die geplante Gruppenarbeit begleiten sollen. Und dann gibt es noch den offenbar als Moderator vorgesehenen Peter Paul Skrepek,Vorsitzender der Gewerkschaft KMSfB und Präsident der Sektion Musik.

In der ersten Reihe sitzen einige Männer in dunklen Anzügen, teils mit Krawatte, teils mit demonstrativ offenem Hemd, alle unschwer als gehobenere Funktionäre zu erkennen. Zu ihnen gesellt sich der Metallerchef Erich Foglar, dessen Erscheinen von den Erstereihe-Funktionären mit einem leisen "na, wenigstens ana, der wos z redn hod" quittiert wird. Da Stefanie Wukovitsch und ich uns in die erste Reihe gesetzt haben, werden wir ebenfalls in sein Funktionärshändeschütteln einbezogen.

Nun kann es losgehen. Skrepek schließt die Tür und meint leichthin, es sei eine geschlossene Veranstaltung und begrüßt uns vor dem Schriftzug "Gewerkschaft der Gemeindebediensteten" stehend quasi als Hausherr, weil die KMSfB in diesem Haus ihren Sitz habe. Mit Blick auf einen Zettel beginnt er den geplanten Ablauf vorzutragen, er wirkt wie ein Schauspieler, den man gebeten hat einen Text vorzulesen, welcher aber nur in Bruchstücken vorhanden ist. Also muss er gewaltig extemporieren, was sich in etwa so anhört: "... und die Ergebnisse werden dann nach oben gesandt, irgendwohin nach oben, ich weiß selber nicht wohin, aber ich trete dafür ein, dass alles, was hier entsteht, auch oben ankommt".

Unruhe beginnt sich im Saal breit zu machen. Als er dann launig darüber informiert, dass an der Wiener Börse täglich 8 Milliarden Euro verspekuliert würden und da rege sich niemand darüber auf, während man bei der BAWAG so ein großes Aufhebens wegen 4 Milliarden mache, aber das Bankgeschäft sei nunmehr kein Honigschlecken ..., entsteht Stimmengewirr im Saal, es fallen hässliche Worte wie "Frechheit!" und "weg mit dem!" und nach einigem hin und her wird er wieder aufs Podium niedergesetzt, wo er bis kurz vor Schluss der Veranstaltung beleidigt schweigt. Der Dr. Stegmüller beginnt nun davon zu reden, dass es 12 Fragen in 3 Gruppen zu beantworten gebe, wobei die ersten 3 Fragen offene Fragen seien. Es wächst wieder Unruhe im Saal, da der Stegmüller aber bereits am Podium sitzt, kann er nicht mehr niedergesetzt werden.

Neben uns in der Bonzenreihe ruft ein nicht Unstämmiger, der eine Ausstrahlung vom Positivwert eines Stechapfelgemischs in einer Hofer-Hirsepackung hat: "theaterts eich do ned no mehr eine". Dieser Sympathieträger versucht auch noch kurz Ordnung ins vermeintliche Chaos zu bringen. Schließlich schafft es aber Fogler von den Metallern dem Podium zu vermitteln, dass angesichts der Unruhe im Saal nicht die vorbereitete Fragen beantwortet werden sollen, sondern der Reihe nach jeder reden darf und aus jedem Beitrag ein Merksatz auf den Flipchart geschrieben wird (von der jungen Funktionärin, die im Unterschied zu den Bodyguards und zum Bildungssekretär eine Aufgabe für diesen Abend gefunden hat).

Ein Redebeitrag folgt auf den anderen, die meisten Anwesenden und Redenden sind Gewerkschaftsfunktionäre und/oder Betriebsräte, nur 5 bis 6 sind, wie sich herausstellt, einfache Gewerkschaftsmitglieder, ein gutes Drittel ist so 70 plus, die bringen zumeist Zornausbrüche über den Verrat von Verzetnitsch, diverse Anekdoten und Erinnerungsbeiträge wie etwa einer von der Gewerkschaft Bau-Holz, welcher davon erzählt, dass er als Olahs Kampflatte uns in den 40ern und 50ern Österreich vor dem Kommunismus gerettet habe (auch in der ersten Hälfte der 40er Jahre?); Heinz Kienzl, der Gewerkschafter, Atomkraftfetischist und Banker ist ebenfalls da und verrät ein Geheimnis: schuld an der finanziellen Misere seien all jene, die nicht bei der Gewerkschaft gewesen wären, sondern die Errungenschaften als Trittbrettfahrer konsumiert, aber keinen finanziellen Beitrag geleistet hätten. Dann ist er gegangen um die Gewerkschaft zu retten. Auch andere gehen. Es gibt klügere und weniger kluge Beitrage, es gibt längere und kürzere.

Die längeren kommen zumeist von revolutionstouristischen Funke-Leuten und Kommunistischen Initiativlern. Wenn diese fordern: "keine Sozialpartnerschaft sondern Klassenkampf" und das auch auf den Flipchart aufgeschrieben wird, meint Obermülner, er sei für Partnerschaft und gegen Klassenkampf. Wenn Unvereinbarkeit von politischen und Gewerkschaftsfunktionen verlangt wird, lobt Obermülner Rudi Hundstorfers Einsatz für die Gemeindebediensteten in seiner Funktion als Gemeinderat. Es wird fader und fader. Dann ist es zu Ende. Die 12 Fragen sind nicht beantwortet worden und Dr. Stegmüller freut sich zum Abschluss, dass wir uns basisdemokratisch nicht an das vorgegebene Programm gehalten hätten. Skrepek wacht auf und beginnt wieder zu extemporieren. Alles geht.

Auch ich verlasse diesen Saal, der im Laufe des Abends von einem Diskussionsteilnehmer als spätstalinistisch bezeichnet worden ist. Dieser Saal, in dem schon rauschende KIV-Feste gefeiert wurden, wo uns in vielen Sitzungen des Wiener Vorstands der fein ziselierten Rethorik eines Alfred "Demosthenes" Nickel zu lauschen gegönnt war! Bei dem trotz der quantitativen Vielfalt seiner Beweisstücke nie die Qualität der Begriffe zu leiden gehabt hat! Dieser Saal, in dem wieder und wieder das glänzende Differenzierungsvermögen von Franz "Das Sensibelchen" Simanov zum Tragen gekommen ist, dieser Lichtgestalt der HG 4, die sich nie gescheut hat, in Anwendung ihrer dialogischen Seinsweise immer wieder begütigend die Hand dem Nächsten hin zu strecken, auch wenn dieser Nächste oft nur der Kollmann war! Nicht zu vergessen das gelebte Rebellentum der pulsierenden Garde der Jugendabteilung, welche bei Abstimmungen den Anträgen der überwältigenden Mehrheitsfraktion mit geballter Faust mahnhaft trotzig ihre Zustimmung gab!

Und wer erinnert sich nicht an Günter "Open Mind" Weninger, welcher mit seinen Informations-Tsunamis den Raum stets ins Überschwappen gebracht und uns alle oft schaudern gemacht hat vor lauter Durchblick. Und schließlich und endlich lebt hier ja auch noch der Geist von Rudi "Machmascho" Hundstorfer, unserem langjährigen Boll im Gemeinderat, bei dem sich Offenheit und Ehrlichkeit ein stetes Kopfankopfrennen liefern, der uns nie im Unklaren gelassen hat über den Stand von Verhandlungen, da sie stets am nächsten Tag schon erfolgreich abgeschlossen hätten werden sollen.
Und da redet so ein junger Schnösel von spätstalinistisch!

In der U-Bahn setzt sich Skrepek zu mir hin und meint, er habe wenig Hoffnung, dass oben was weitergehe. Das habe er aber nicht sagen wollen, um die Leute nicht zu demotivieren. Und der Bundesvorstand, das sei der reine Wahnsinn, da würden Beschlüsse gefällt und alle dürften nur abnicken. Da meine Station zum Aussteigen kommt, muss ich diesem Funktionär des unglücklichem Bewusstseins zum Abschied begütigend zunicken.

Ich dagegen setze meinen Weg fort in Richtung Morgenröte
und vermeine bereits zu hören, wie die Kanonenschüsse der Aurora
einen Neuen Morgen der Gewerkschaftsbewegung einläuten. Quasi.


Mikulasch und Wukovitsch: Alternative GewerkschafterInnen - 70+ und 60+.(zurück)
Nickel, Simanov: ehem. Hauptgruppen-Vorsitzende der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten
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