Otto Weininger wider den Kreis

In seiner "Konservativen Revolution" läßt Mohler Otto Weininger in einem langen Zitat zu Wort kommen, weil er in seinem Bestehen auf die "Einsinnigkeit der Zeit" den konsquentest formulierten Gegenentwurf zu jener konservativen Weltanschauung liefert, welche in zumeist trüben Gewässern Wiedergeburten periodisch herumplantschen sieht. Auch kosmologische Kreisläufe werden gerne als wohlfeile Deus-ex-Machina-Erklärungsmuster für selbst verursachte politische Katastrophen herangezogen.
Weiningers Text hat da einen erfrischenden Gegen-Wahnsinn:
„Man hat allgemein dem Kreis eine besonders hohe Dignität als dem vollkommensten, symmetrischen, ebenen Gebilde zuerkannt. Jahrtausende- lang hat die Auffassung, die einzige erhabener Gegenstände würdige Bewegungsform sei die im Kreise, bestanden und bekanntlich noch Kopernikus gehindert, die Planetenbewegung um die Sonne anders zu denken als kreisförmig . . . Die elliptische Bewegung teilt zwar nicht ganz mit der kreisförmigen das Pathos des Gesetzes, die Würde der Launenlosigkeit, dafür aber haftet ihr in gleicher Weise wie jener die Eigenschaft an, die hier zum Gegenstande der Kritik gemacht werden soll. Die rückläufige Bewegung ist nämlich die anethische Bewegung katexochen. Sie ist selbst- zufrieden, sie schließt das Streben aus, sie wiederholt das Gleiche immer- fort, sie ist, moralisch betrachtet, schlimmer als der wenigstens immer weiter rückwärts wollende, wenigstens sinnvolle Krebsgang . . . Sich im Kreise drehen ist sinnlos, zwecklos; jemand, der sich auf der Fußspitze herum- dreht, selbstzufriedener, lächerlich eitler, gemeiner Natur. Der Tanz ist eine weibliche Bewegung, und zwar vor allem die Bewegung der Prostitution .,. Die Kreisbewegung hebt die Freiheit auf und ordnet sie einer Gesetzlichkeit unter; die Wiederholung des nämlichen wirkt entweder lächerlich oder unheimlich . . . Aus dem gleichen Grund ist es auch alles eher als eine Befriedigung des Unsterblichkeitsbedürfnisses, jene ewige Wiederkunft des Gleichen anzunehmen, wie sie pythagoreische und indische Lehren (auch die Weltentage des esoterischen Buddhismus) kennen, und wie sie Nietzsche wieder verkündet hat. Im Gegenteil, sie ist fürchterlich ... Der Wille zum (eigenen) Wert, zum Absoluten ist ja die Quelle des Bedürfnisses nach Unsterblichkeit. . . Der Fatalismus, das ist der Verzicht des Menschen, sich selbst je in Freiheit eigene Zwecke zu setzen, empfängt sein Symbol im Wiener Walzer. Die Tanzmusik begünstigt im Menschen die Verabschiedung des sittlichen Kampfes, ihre Wirkung ist ein Gefühl der Determiniertheit. . . Die Kreisbewegung ist schließlich auch lächerlich, wie alles bloß Empirische, d. h. Sinnlose; indes alles Sinnvolle erhaben ist. Damit hängt auch wohl zusammen, daß der Kreis und die Ellipse als abgeschlossene Figuren auch nicht schön sind. Der kreisförmige oder elliptische Bogen, als Ornament, kann schön sein: er bedeutet nicht, wie die ganze Kurve, die völlige Sattheit, der nichts mehr anzuhaben ist, wie die um die Welt geringelte Midgardschlange. Im Bogen ist noch etwas Unfer- tiges, der Vervollkommnung Bedürftiges und Fähiges, er läßt noch ahnen. Darum ist auch der Ring immer Symbol von etwas Unmoralischem oder Antimoralischem: der magische Kreis fesselt, er raubt die Freiheit; der Hochzeitsring fesselt und bindet, er nimmt zweien die Freiheit und Einsamkeit, er bringt statt dessen die Knechtschaft und Gemeinschaft. Der Ring des Nibelungen ist das Abzeichen des Radikal-Bösen ... Für die Griechen hat es im engeren Sinne keine Einsamkeit und kein Zeitproblem gegeben ... Daß die Einsinnigkeit der Zeit ein Ausdruck der Ethizität des Lebens ist, darauf weist vieles hin ... So hat es auch Christus empfunden ... Während die Erde, auf der wir leben, fortwährend kreist und kreist, bleibt der Mensch unberührt vom kosmischen Tanze."

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