Herr Doktor Karl

Interview mit Christian Fleck im Standard, dessen Studie Transatlantische Bereicherungen. Die Erfindung der empirischen Sozialforschung, Frankfurt: Suhrkamp wahrscheinlich auch schon an die hundert km in meinem Rucksack verbracht hat und unverdienterweise immer was Anderes "noch rasch vorher" gelesen wurde. Im Interview spricht Fleck die nachhaltigen Auswirkungen der "akademischen Arisierungen" an:
"Die Verweildauer der Ariseure kann man mit zumindest 30 Jahren veranschlagen, woraus folgt, dass wir es heute in manchen Instituten mit den Schülern der Schüler dieser Ariseure zu tun haben. Bedenkt man wie an Österreichs Universitäten Nachfolger erkoren werden – „Revolutionen“ sind hier sehr selten – dann ist klar, dass wir vielerorts immer noch vom Jahr 1938 überschattet sind.
Dazu kommt noch ein weiterer Umstand, der noch nachhaltiger war. Die, wie man sagen könnte, „Herrn Doktoren Karl“, die sich 1938 Lehrkanzeln angeeignet haben, hatten für ihren Erfolg einen Preis zu zahlen. Der bestand darin, dass sie ihre wissenschaftliche Arbeitsfähigkeit nachhaltig ruinierten.
Die Ariseure waren wegen der Art, wie sie in ihre Positionen gelangten, zum Großteil nicht in der Lage, die Moral zu kultivieren, die für wissenschaftliches Arbeiten notwendig ist. Da Schüler in den meisten Fällen ihre Doktorväter nachahmen, pflanzte sich diese fehlende Bereitschaft zu entbehrungsreichem wissenschaftlichen Arbeiten fort."

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