Bericht 3. Wr. Büchereigespräch

Ein Bericht über das 3. Wiener Büchereigespräch findet sich in der Rathauskorrspondenz vom 9. 4. 08:

Hauptbücherei: Symposium sieht Potentiale bei Internet-Portalen
5-Jahres-Jubiläum: Medienzentrale am Gürtel hatte positive Effekte für das Büchereiwesen

Wien (RK). Nach den Themen "Demokratisierung" (1996) und "Datenhighway" (2000) widmete sich das am Mittwoch Vormittag stattgefundene 3. Wiener Büchereigespräch dem Thema "Virtueller und öffentlicher Raum - die öffentliche Bücherei der Zukunft". Neben Bibliotheks-DirektorInnen aus Bratislava (Juraj Sebesta), Hamburg (Hella Schwemer-Martienßen) und Stuttgart (Ingrid Bussmann) nahmen von Seiten des Wiener Gemeinderates Barbara Novak und der seit Anfang April amtierende neue bibliothekarische Leiter der Büchereien Wien, Markus Feigl, am Symposium teil. Die Moderation hatte Christian Jahl, Leiter der Hauptbücherei am Gürtel, inne. Das Symposium ist Bestandteil der 5-Jahres-Feierlichkeiten der Hauptbücherei am Gürtel, die 2003 eröffnet wurde.

Gemeinsamer Tenor der Experten war die Definition der öffentlichen Büchereien als Bildungsinstitution, die zukünftig noch vermehrt noch mit anderen Bildungsadressen, wie etwa Volkshochschulen, zusammen arbeiten sollte. Ebenso einhellig fiel die Beantwortung der Frage nach dem Publikum mit Migrationshintergrund aus: Dies müsse als Chance begriffen werden, vor allem bilinguale Angebote und Services in den Zweigstellen könnten hier noch vieles voranbringen. Detto die Einschätzung des virtuellen Raumes, der für Novak immer in enger Beziehung zum öffentliche Pendant gesehen werden müsse: Gerade bei den Internet-Portalen der Bibliotheken könnte man durch weiteren Service, etwa Downloads von Sprachkursen oder Angeboten von Hörbüchern bei einem immer Internet-affineren Publikum punkten. Für Wien betonte sie die Notwendigkeit, das reichhaltige Angebot des Wiener Bildungsservers mit dem Angebot der Büchereien Wien zu koppeln. Ebenso sollten die Büchereien das Erlernen der Kulturtechnik Mediennutzung gewährleisten.

Unterschiede in Struktur und Gebührenhöhe - Gemeinsamkeiten bei den Zielen

Unterschiede, in der Struktur, wie in der Finanzierung wurden bei diesem dritten Wiener Büchereigespräch aber auch deutlich. Schwemer- Martienßen, Direktorin der Bücherhallen Hamburg, betonte die enge finanzielle Lage ihrer Institution. Kulturelle "Filial-Systeme", wie eben Bibliotheken in mehreren Stadtteilen, würden von Politikern leichter budgetär gekürzt, als Monopol-Adressen der Hochkultur, wie etwa die Oper. Seit 1996 in der Führungsposition tätig, müsse jedes Jahr das Budget neu verhandelt werden - die Hamburger Version existiert als Stiftung privaten Rechts aus dem Jahr 1917 - , die Jahresgebühren beliefen sich in der Hansestadt auf stolze 40 Euro im Jahr. "Wir sind die teuerste Bibliothek", betonte Schwemer-Martienßen. Ganz im Unterschied zu Stuttgart, wo die öffentlichen Büchereien, laut ihrer Direktorin Ingrid Bussmann, nicht nur politische Unterstützung durch den hiesigen Oberbürgermeister genießen würden, sondern aufgrund einer guten wirtschaftlichen kommunalen Ausganglage vieles neu geplant werden könne; darunter vor allem das Projekt "Bibliothek 21". Bemerkenswert: Für die Zweigstellen in Stuttgart besteht eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit lokalen Kindergärten und Schulen. Entsprechend klar auch ihre Ansage, dass Zweigstellen darüber hinaus keine eigenen inhaltlichen "Mikrokosmen" entwickeln sollten. In Sachen Gebühren stellt sich die 590.000 Einwohnerstadt Stuttgart moderat dar: Ab dem 18. Lebensjahr müssen hier 15 Euro pro Jahr berappt werden, dafür "sei alles andere inklusive", so Bussmann. Allein die Mahngebühren bei Überziehungen würden noch hinzu kommen. Deutlich günstiger freilich das Gebührenwesen in Bratislava: Hier sind in etwa drei Euro zu bezahlen, strukturell befinden sich die diversen kleinen Büchereien in den 17 Stadtteilen der slowakischen Hauptstadt in den Händen der jeweiligen Bezirksorgane.

Wiens Bücherbusse und Besucherdienste haben auch Fan im Gemeinderat

Das Wiener Gebührenwesen bei den Büchereien Wien befand Novak "auf gutem Weg". Auch Feigl, der sich dezidiert für Bildungsangebote für Beschäftigungslose und die Beibehaltung des Zweigstellen-Systems aussprach, fand die existierende Gebührenlandschaft "für in Ordnung." Detail: Als wahrer "Fan" outete sich Novak, die auch Vorsitzende des Vereins der Freunde der Büchereien Wien ist, bei den Wiener Angeboten der Bücherbusse bzw. des Besucherdienstes, wo Mitarbeiter erkrankte Wienerinnen und Wiener mit Lesestoff aufsuchen. So gesehen müsste sich Novak auch in Stuttgart wohlfühlen, wo ebenso ein Bücherbus-System existiert.

Offene Zukunft - Medium Buch wird bleiben

In Sachen Zukunft gab sich die Runde durchwegs optimistisch. Büchereien seien auch weiterhin kulturelle Komplementärsysteme, die für andere Bildungsinstitutionen da zu sein hätten. Ihren Eigenwert als kostenlose bzw. sehr günstige moderne Informationsmöglichkeit hob Feigl hervor. Darüber hinaus seien sie aber auch "Spiegel der Gesellschaft" (Novak) bzw. "Seismographen der Gesellschaft" (Bussmann). Die Befürchtung Sebestas, dass das Medium Buch bei all den forcierten virtuellen Download- Möglichkeiten auf der Strecke bleiben könne, wurde nicht geteilt. Diese Befürchtung habe sie schon vor 15 Jahren gehört, das Buch in seiner literarischen Funktion existiere zweifelsohne aber noch. Alleine Ratgeber- Bücher könnten angesichts der elektronischen Möglichkeiten unter Druck geraten, so Novak durchwegs optimistisch, die auch an die unbegründeten Ängste bei Eröffnung der neuen Hauptbücherei erinnerte: Damals habe man gemutmaßt, dass damit zig Zweigstellen eingespart würden. "Hat aber auch nicht gestimmt", betonte sie.
Wie aus dem Bericht hervorgeht, ist über die Wiedergabe von bibliothekarischen Gemeinplätzen nicht hinausgegangen worden und was die Zukunft betrifft, alles im Ungefähren belassen worden. Allerdings ist von der neuen Leitung der Büchereien auch noch nicht ein entwickeltes Zukunftskonzept zu erwarten, da nicht nur die Rahmenbedingungen erst auszuhandeln sein werden, sondern es die Abteilungsleitung auch nicht gerne sehen würde, wenn weitreichende Konzepte von nachgeordneten Dienststellen hinausposaunt würden.

In einer Publikumsrunde wurden u.a. folgende Themen angesprochen:
  • verstärktes Reagieren auf die Tatsache, dass Österreich ein Einwanderungsland ist
  • Hinterfragung der Gebührenstruktur und der Gebühren überhaupt
  • Die Motivation der Bediensteten nicht hemmen
  • Mehr Präsenz im "Virtuellen Raum" durch Ausbau des Internetportals und der Internetangebote
  • Erhalt der Grätzelbüchereien
  • BüchereibenutzerInnen nicht als KundInnen, sondern als PartnerInnen ansehen
  • BibliothekarInnen von seiten des Magistrats nicht als Kostenfaktoren, sondern als Leistungsträger wahrnehmen

Die Beantwortung dieser Beiträge durch die zum Teil direkt angesprochene Politikerin Barbara Novak verblieb im Floskelhaften.



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