Bildungsreform als Herrschaftsinstrument

Auf den verdienstvollen Nachdenkseiten analysiert Jens Wernicke unter obigem Titel den in und mittels der Bildungsreform geführten "stillen Klassenkampf von oben":

"Kaum irgendwo wird derzeit soviel ‚Reform‘-Kraft entfaltet wie im deutschen Bildungssystem. An vielen Stellen wird reformiert, um- und neugestaltet. Die in großen Teilen hiergegen kontext-argumentativ wehrlose Linke sieht sich mit scheinbar zusammenhanglosen Versatzstücken technokratischer Modernisierung konfrontiert, die sie mit dem Ruf „Bildung ist keine Ware!“ oder mit der Forderung, mehr Arbeiterkinder sollten an die Hochschulen gelangen können, zu parieren versucht. Dabei bilden diese ‚Reformen‘ sehr wohl ein einheitliches Bild, wenn man sie aus materialistischer Perspektive betrachtet. Die linke Kritik verharrt überall dort, wo sie diese Perspektive negiert, gar zu oft in einer affirmativen Position, die nur das Bestehende verteidigt oder schützt."
Der umfangreiche Artikel basiert auf der Diplomarbeit "Hochschule im historischen Prozess. Zum Verhältnis von Universitätsentwicklung und Klassenmacht, Diplomarbeit an der Bauhaus-Universität Weimar, 2008", die hoffentlich bald online zu lesen sein wird.

Mit dieser vom Autor angesprochenen Situation kontext-argumentativ wehrloser Linker, die den scheinbar zusammenhanglosen Versatzstücken technokratischer Modernisierung nicht wirklich was entgegenzusetzen haben, scheint mir auch das Problem einer wie auch immer sich definierenden "Bibliotheken-Linken" gut charakterisiert zu sein.
In diesem Wust an Initiativen, Neuerungen, administrativen Anpassungen, budgetären Restriktionen, Schließungen, de-facto-Privatisierungen ... ist es oft schwer zu erkennen, wo es lang geht, ob es in Richtung partnerschaftlicher BenutzerInnenorientierung geht oder ob vielmehr in der "Konzernfiliale Büchereien", wie die Wr. Büchereien von oben angesehen werden, die bibliothekarischen Tätigkeiten auf Geschäftsbeziehungen zwischen "Verkäufer" und "Kunden" hinunterquantifiziert werden.
Schier alle Maßnahmen haben einen zwieschlächtigen Charakter, gegeben bereits durch die jeweiligen Beipackzettel voller Bullshit als ideologischer Begleitmusik. Manches beinhaltet aber auch emanzipatorische Elemente, die es wert sind, entwickelt zu werden.
Bei Unterstützung von Initiativen, die sich hernach als dem Beipackzettel entsprechend erweisen, läuft linker Mensch Gefahr, sich vor etwas spannen gelassen zu haben, das eher diesen stillen Klassenkampf von oben befördert.
Bei weitsichtiger Abwägung, dass bestimmte Sachen nur in die neoliberale Sackgasse führen, steht er, besonders dann, wenns im Rahmen gewerkschaftlicher Aktivität geschieht, als Blockierer und Möchtegernverhinderer dar.
Alles irgendwie ungut kompliziert.

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