Christian Hauschke, der in einem älteren Beitrag festgestellt hatte:
"Die Unsitte, von Bibliothekskunden zu sprechen und zu schreiben, beschäftigt mich schon etwas länger",
bringt in Infobib einige Zitate aus dem Buch “Perfekt versteckt : Ressourcenverschwendung in wissenschaftlichen Bibliotheken” von Pia Kluth, welche eine Definition dieses Kundenbegriffs ansprechen, hier die Schlüsselstelle:
"Anders als bei den Begriffen “Leser” und “Benutzer” führt die Bezeichnung “Kunde” zu weiteren Implikationen. Kundenwert, Kundenverständnis und Kundenbindung sind einige Anknüpfungspunkte, die von diesem Begriff ausgehen. Die Richtung ist deutlich, es geht um ein innovatives Bild der Bibliotheksklientel.
Das Wort “Kunde” löst Assoziationen aus, die Menschen und nicht Medien ins Zentrum bibliothekarischer Arbeit rücken. Kundenorientierung bedeutet, die Aufmerksamkeit auf Dienstleistungen zu richten, die Kundenbedürfnisse befriedigen."
Die Behauptung, dass "Kunde" den Menschen in den Mittelpunkt stelle und "Leser", "Benutzer" offenbar nur die Medien, ist weder von der Herkunft noch vom Alltagsgebrauch her belegt.
Wenn man davon ausgeht, dass "Kunde" in diesem Zusammenhang nicht im Sinne von "kundig" verwendet wird, sondern als Teil eines geschäftlichen Vorgangs, dann gehen die Assoziationen aus der täglichen Lebenspraxis heraus weniger in eine innovative Richtung, in der der Mensch im Mittelpunkt steht, sondern eher in die "Buchbinder Wanninger"-Richtung, wo man sich als ein in einer Kundenservice-Center-Warteschleife Verfangener wiederfindet.
Offenbar ist die Autorin von der positiven Befüllung des Kundenbegriffs eh nicht so ganz überzeugt, wie sonst wäre ihr denn die an feudale Verhältnisse erinnernde Bezeichnung "Bibliotheksklientel" eingefallen, bei dem von Mittigkeit beim besten Willen nicht die Rede sein kann?
"Leser" und "Benutzer" dagegen lassen an Selbstbestimmte und selbst Bestimmende denken und signalisieren im Unterschied zur faden Allgemeinheit des "Kunden" eine individuelle Besonderheit.
Kritische Beiträge zur Kundenmanie finden sich u.a. bei Ben Kaden in der Besprechung eines Buches über Bibliothek 2.0:
"Wenn der Nutzer zunehmend als ein die Bibliotheksangebote mitbestimmender Informationsprosument agiert, stellt sich die Frage, ob die Bibliothek noch Informationsdienstleistungen anbietet oder vielmehr Räume, in denen sich Information Life Cycles unter Beteiligung diverser Akteure vollzieht. Der - in meinen Augen schon jetzt missverständliche und missverstandene - "Kunden"-begriff wäre kaum noch zu halten - mehr denn je würden Nutzer wirklich "Nutzende" sein und darüber hinaus auch "Nutzen schaffende". Nachdem die kundenorientierte Bibliothek eine "just-in-time"-Konzeption im Sinne einer hochentwickelten Informationslogistik in ihr Zentrum rückte, wäre das Grundprinzip der die Bibliothek 2.0 nicht mehr nur "just-for-me", sondern darüber hinaus auch "just-by-me"."
Oder hier:
Die Verwendung der Bezeichnung „Kunde“ halte ich, das als Einstieg, für unpassend. Kundschaft steht synonym für Käuferkreis, der Kunde ist jemand der „ein Geschäftsangebot wahrnimmt“ (Pfeifer, W.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 4. Aufl., München, 1999, S. 744). Hier wird sofort die Box der Analogie zum Wirtschaftsunternehmen geöffnet, die uns die Pandora des „Effizienzmanagement“, welche durch so manche bundesdeutsche Amtsstube reitet, hinterlassen hat, die aber die Bedeutung der Bibliothek absolut verkennt.
Angesichts der inhaltlichen Armut des Begriffs "Kunde" bzw. seiner nicht wegzudiskutierenden ideologischen Ausrichtung fragt sich, wieso ausgerechnet im Bibliotheks- und Büchereiwesen, wo eine gewisse sprachliche Sensibilität vermutet werden darf, dieses Unwort derart Verbreitung gefunden hat.
Schließlich hat es in früheren Zeiten zwar gelegentlich ein von schwarzer Pädagogik geprägtes Verhältnis zwischen Bibliothekspersonal und BenutzerInnen gegeben, doch hat sich diese Institution nie dazu verstiegen, ihre Leserschaft analog dem in der Ärzteschaft gern gebrauchten Begriff "Patientengut" als "Lesergut" zu bezeichnen.
"Die Kunde", wie die KundInnen in der Alpenrepublik zusammenfassend tituliert werden, entspricht imho keineswegs zufällig der Kunde im Sinne von Nachricht. Meine Botschaft als Kundin zählt. Was ich als Userin will, interessiert kein Schwein, da soll ich gefälligst dankbar sein, dass ich wasauchimmer überhaupt benutzen darf ...
Einspruch, Eure Hoheit!
Wobei man hier auch wieder einschränken könnte, dass das nur für Bürger mit festem Wohnsitz gilt. Aber das ist wieder ein anderes Thema.
Wenn es noch gelingen sollte, die Automaten dazu zu bringen, im besten Schönbrunnerdeutsch Ihnen die Kunde zu bringen: "Uijegerl, da samma aber a bißal spät dran, Gnädigste, da wärn wir a wengerl Mahngebühren zahln müssen", dann dürfte Ihr Kundinnenglück wohl grenzenlos sein :-)