Die Kunden von Wien

Zumindest für Wien gilt, dass die Bezeichnung für Menschen, welche die Büchereienangebote nutzen, als "Kunden" nicht auf dem Mist der Büchereien gewachsen ist.
Die "Verkundisierung" ist ein Prozess, der den gesamten Wiener Magistrat, so auch den organigrammischen Wurmfortsatz Büchereien als "Winds of Change" ergriff. So bezeichnet es Michael Steiger in seiner Dissertation "Einführung des New Public Management in die Verwaltung der Stadt Wien und die Auswirkungen auf die Stadtplanung".(PDF 1MB)
Und er gibt auch das genaue Datum an, an dem diese Winde zu wirken begannen:

Wien, 22.8.1995. Dr. Ernst THEIMER ist seit 1. August Magistratsdirektor von Wien und publiziert die Schwerpunkte seines Programms für die nächsten Jahre:
„Der Magistrat Wien ist ein großer Dienstleistungskonzern, dessen Kunden die Menschen in dieser Stadt sind. Von den mehr als 70.000 MitarbeiterInnen sind nur etwa 7.000 im Rahmen der so genannten Hoheitsverwaltung tätig, alle anderen im Dienstleistungssektor ...
Diesen Servicecharakter der Stadtverwaltung gilt es in den nächsten Jahren nach den Kriterien der Kundenorientiertheit und Effizienz forciert weiterzuentwickeln. ...
Ziel ist die Zurverfügungstellung rascher, einfacher und zielführender Dienstleistungen für die Bürger Wiens, die als Kunden wahrgenommen werden sollen. ...
Der Konzern Magistrat mit der Magistratsdirektion als Zentrale soll die Beziehung zu seinen „Töchtern“, den Magistratsabteilungen, die ihrerseits Großbetriebe darstellen, überdacht werden ..." (S. 5f)

Und ab dann wurden alle alle zu Kunden: MitarbeiterInnen, LeserInnen, Erwachsene, Kinder.
Es wurde munter drauflosevaluiert, strukturanalysiert und strukturreformiert, leitgebildet, geworkshopped und gemoggt, raufoptimiert und runterflexibilisiert.
Die Büchereien mutierten zur Konzernfiliale und die Winde wurden immer rauher.

Mit den "Men in Black" der diversen Beratungsfirmen hatte es begonnen. Zu unserem Erstaunen wurden wir darüber aufgeklärt, dass unsere Tätigkeit ab nun konsequent an den Bedürfnissen unserer LeserInnen zu orientieren sei, weil diese nun Kunden wären.
Ein nächster Schritt war dann die sogenannte "Aufgabenkritik", an deren Ende die Beschränkung auf die "Kernkompetenzen" der Büchereien stand.
Ins reale Leben übersetzt: die Krankenhaus- und Lehrlingsbüchereien wurden geschlossen.

Inzwischen sind die letzten Personalressourcen erfasst und die großen, lärmenden Winde haben sich gelegt.
Die leisen Winde dagegen, die oft viel teuflischer sind, gehen nun von den Excelmeistern vulgo Controllern aus.
Unermüdlich stochern sie in ihrem Datenmüll, um die Kosten, die sie selbst verursachen, von den Mitarbeitern wieder hereinzukriegen, beispielsweise durch Reduzierung der Rezensionsexemplare oder durch die Einschränkung des Kinderanimationsangebots der Büchereien.

Wir sind Kunde – eine gefährliche Drohung?




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