Nein danke vor 30 Jahren

Durch die physischen Nachwirkungen der amerikanischen Nacht ist dieser Beitrag nicht mehr am 5. November, dem dreißigjährigen Jubiläum der erfolgreichen Volksabstimmung gegen die Atomkraft, fertig geworden, außer man nimmt US-Zeit.

Das unten angeführte lange Zitat stammt aus dem auch heute noch sehr lesenswerten Bericht aus den Eingeweiden einer Fachgewerkschaft: "Lehrjahre bei Bau-Holz. Erfahrungen in einer Gewerkschaftszentrale." von Karl Czasny.
Der Autor hatte sich nach dem Studium bei der Gewerkschaft um eine Anstellung beworben, um seine Kenntnisse in den Dienst der ArbeitnehmerInnen zu stellen.
Bei der Gewerkschaft "Bau-Holz" schließlich erhielt er eine Anstellung in der Statistischen Abteilung.
In tagebuchartigen Aufzeichnungen bietet er einen erhellenden Einblick in die Kultur von Gewerkschaftszentralen, die sich, wie auch nach heutiger Lektüre leider festzustellen ist, nur wenig geändert hat.
Da die Tätigkeit von Karl Czasny gerade in die Zeit der österreichweiten Diskussion um die Inbetriebnahme eines Atomkraftwerks fiel und er sich im Verlauf dessen einer gewerkschaftlichen Initiative gegen Zwentendorf anschloss, kam er unweigerlich mit der Gewerkschaftsführung in Konflikt, die wie so oft, über die Köpfe ihrer Mitglieder hinweg eine Position einnahm, auf die sie alle Funktionäre zu verpflichten trachtete. Eine Position zur Bejahung der Kernkraftnutzung ohne wenn und aber natürlich.
Die folgenden Zeilen können vielleicht vermitteln, wie es dank solcher AlltagsheldInnen (und es ist tatsächlich sehr mutig gewesen, sich in solch einer Situation, unter solchen Rahmenbedingungen gegen den Mainstream zu stellen), innerhalb weniger Monate gelungen ist, gegen eine schier übermächtige Allianz aus Industrie, Sozialdemokratie und Gewerkschaft erfolgreich zu bestehen - die Volksabstimmung ergab ein knappes Votum gegen den Einsatz von Atomkraftwerken in Österreich.
Auch in den Büchereien hat es damals heftige Diskussionen, gerade auch mit BüchereibenutzerInnen gegeben, wobei die meisten BibliothekarInnen entschieden gegen die Inbetriebnahme von Kernkraftwerken waren und damit auch nicht hinter dem Berg hielten. Ich glaube, auch sie haben einen kleinen Beitrag gerade in aufklärerischer Hinsicht geleistet, da sie ja auf entsprechendes Informationsmaterial verweisen konnten, das von den LeserInnen auch angenommen wurde. Freilich gehörte viel weniger Mut für solche Initiativen dazu, als dies Leute wie Karl Cszerny aufzubringen hatten.
Nebenbei: sein Buch ist vergriffen und nur noch in zwei Büchereizweigstellen in Wien verfügbar. Hier ein besonderer Dank an die KollegInnen der Zweigstelle am Meiselmarkt, bei denen sich immer wieder solche Publikationen finden lassen, über die scheinbar die Zeit hinweggestrichen ist.
Ein offensichtlicher Irrtum, wie man an diesem Buch sieht:

Das Ende einer Karriere 30.9.1977
Nach dem Fehlschlagen meiner beiden, noch vor dem Urlaub unternommenen Versuche der Initiierung einer Zwentendorfdiskussion, entschloß ich mich — gestärkt durch das aufbauende Italienerlebnis — zu einer letzten Initiative in dieser Richtung. Im Rahmen der kommenden Betriebsversammlung wollte ich beim letzten Tagesordnungspunkt mit dem Titel „Verschiedenes“ das Wort zur Frage der Atomkraft ergreifen und sehen, was dann passieren würde. Mit einem ziemlich flauen Gefühl in der Magengegend sah ich dem Tag der Betriebsversammlung entgegen. Hätte den Auftritt gern schon hinter mir gehabt. Gestern war es dann so weit. Genau wie im letzten Jahr wurde die Betriebsversammlung wieder mit großer Routine und ohne jedes Engagement abgespult. Als das Ende der offiziellen Arbeitszeit beinahe erreicht war und alle bereits ans Aufbrechen dachten, kam endlich der Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ an die Reihe. Ich gab mir einen Ruck, meldete mich und teilte den Kollegen mit einer vor Aufregung leicht zitternden Stimme in kurzen Worten mit, daß sich vor einiger Zeit eine überfraktionelle Initiative von Gewerkschaftlern, die gegen die Inbetriebnahme von Atomkraftwerken eintreten, gebildet hätte. Ich sprach ganz kurz über die Ziele der Initiative und über unsere Kritik an der in der Zwentendorffrage wieder einmal deutlich zu Tage getretenen undemokratischen Entscheidungsstruktur des ÖGB. Schließlich stellte ich den Antrag, unter Beiziehung zweier Energieexperten eine betriebsinterne Diskussion zu dem gesamten Fragenkomplex zu veranstalten und bat den Versammlungsvorsitzenden, die Kollegen abstimmen zu lassen.
Die Aufbruchsstimmung, die sich vor meiner Wortmeldung breit gemacht hatte, war mit einem Schlag verflogen und es herrschte gespannte Aufmerksamkeit. Sofort nachdem ich geendet hatte, ließen einige ihre Arme zur Wortmeldung emporschießen. Und dann fielen sie regelrecht über mich her. Sie stellten den überfraktionellen Charakter unserer Initiative in Frage, sprachen von einem speziell gegen die SPÖ gerichteten Schlag des ÖAAB und der Kommunisten. Wollten in diesem Zusammenhang auch wissen, woher wir denn überhaupt die Adressen der Betriebsräte bekommen hätten, denen wir unseren Aufruf zur Unterzeichnung gesendet hatten. Das sei doch sicher nicht mit rechten Dingen zugegangen. Meinten schließlich, daß mein Verhalten in dieser ganzen Angelegenheit „kein Ruhmesblatt für die Gewerkschaft" sei. Der Tonfall, in dem all diese Vorwürfe und Unterstellungen geäußert wurden, machte deutlich, daß es sich hier um einen Ausbruch von offenbar bereits seit längerer Zeit aufgestauten Aggressionen handelte. Anscheinend war mein Engagement in der Zwentendorfinitiative ohnehin allen längst bekannt, man hatte sich aber nicht getraut, direkt mit mir darüber zu sprechen. Und nun gab ihnen mein eigener Vorstoß in dieser Frage die Gelegenheit, ihren heimlichen Unmut offen zu äußern.
Vor dem Beginn dieser ganzen Szene bis zu dem Augenblick, in dem ich mich zu Wort meldete, hatte mich die Angst gequält, vor versammelter Mannschaft eine Abfuhr zu erleben, für mein Verhalten angegriffen zu werden. Nun, nachdem meine Befürchtungen Wirklichkeit geworden waren, war meine Angst verschwunden. Ich empfand nur noch Wut über die meiner Meinung nach völlig ungerechtfertigten Beschuldigungen. In einer kurzen Stellungnahme antwortete ich in ziemlich scharfem Tonfall auf die Vorwürfe und schloß mit der Bemerkung, daß nicht mein eigenes Verhalten, sondern vielmehr die Art, wie die offiziellen Vertreter des ÖGB die Zwentendorffrage behandelten, kein Ruhmesblatt für die österreichische Gewerkschaftsbewegung darstelle. Bei diesen letzten Worten ging ein Raunen der Überraschung durch die Reihen: So hatte man den stillen-, freundlichen Doktor noch nicht reden gehört.
Seltsamerweise führte meine harte Replik nicht zu einer weiteren Eskalation der Auseinandersetzung. Denn nachdem die ärgsten Scharfmacher ihr Pulver verschossen hatten, meldeten sich nun einige besonnenere Kollegen zu Wort. In betont sachlichem Tonfall nahmen sie zur Kernkraftproblematik Stellung und führten dabei alle sattsam bekannten falschen Argumente der offiziellen ÖGB-Position ins Treffen. Zu gerne hätte ich die Gelegenheit ergriffen und die von mir gewünschte Zwentendorfdiskussion gleich auf der Stelle durchgeführt. Inzwischen war aber die offizielle Arbeitszeit bereits weit überschritten. Die zu Beginn der Auseinandersetzung herrschende Spannung hatte sich nach dem ersten kräftigen Schlagabtausch gelegt und eine immer stärkere Unruhe unter den Zuhörern signalisierte deutlich, daß allgemein eine Beendigung der Versammlung gewünscht wurde. In meiner Antwort ging ich daher auf das Gesagte nicht im einzelnen ein, sondern bemerkte nur, daß es zu all den genannten, scheinbar so plausiblen Argumenten mindestens ebenso vernünftige, aber in der Gewerkschaftsöffentlichkeit leider viel weniger bekannte Gegenargumente gäbe, die es wohl wert wären, in einer eigenen Diskussionsveranstaltung etwas genauer unter die Lupe genommen zu werden.
Im Anschluß an meine letzte Wortmeldung wollte der Vorsitzende angesichts der allgemeinen Aufbruchsstimmung die Versammlung beschließen. Da meldete sich plötzlich Kollege O. zu Wort und meinte, er empfinde es als äußerst undemokratisch, daß nun über den von mir gestellten Antrag auf Veranstaltung einer Zwentendorfdiskussion nicht abgestimmt werde.
Ich kenne O. aus vielen Gesprächen als sehr diskussionsfreudigen und mir wohlgesonnenen Kollegen. Trotzdem bin ich mir nicht ganz sicher, ob es ihm mit seiner Kritik an der undemokratischen Versammlungsführung ernst war, oder ob er nicht vielleicht nur aus taktischer Überlegung so gesprochen hat. Wenn letzteres der Fall gewesen sein sollte, dann ist seine Taktik voll aufgegangen: Die Abstimmung brachte die totale Niederlage für meinen Antrag. Daß er mit großer Mehrheit abgelehnt werden würde, war mir ja von Anfang an klar gewesen. Daß sich aber keine einzige Stimme dafür finden würde, hatte ich nicht erwartet. Auch jene Kollegen, von denen ich aus privaten Gesprächen genau weiß, daß sie selbst Gegner der Kernkraft sind und das Verhalten des ÖGB in dieser Frage kritisieren, getrauten sich nicht, für eine Diskussion zu stimmen.
Heute, einen Tag nach der Betriebsversammlung wurde im ganzen Haus viel über das gestrige Ereignis gesprochen. Allgemein hieß es, mein Verhalten sei im Hinblick auf eine mögliche Karriere bei der Gewerkschaft ziemlich ungeschickt gewesen. Einer sprach sogar von „politischem Selbstmord". Wenn mir selbst auch nie etwas ferner gelegen ist, als irgendeine Karriere bei der Gewerkschaft oder anderswo, so ist doch an dem Wort vom „politischen Selbstmord" sicher etwas Wahres dran. Denn habe ich mir gestern auch keine Karriere verbaut (da ich ja keine angestrebt habe), so bin ich doch nun sicher und endgültig als linker Spinner, den man nicht mehr so richtig ernst nehmen kann, stigmatisiert.

Nachbemerkung zur Eintragung vom 30. 9. 1977
Als ich die obigen Zeilen niederschrieb, tat ich das in dem Bewußtsein, soeben eine vollkommene Niederlage für die von mir vertretene Sache erlebt zu haben. Heute, mehr als zwei Jahre später, sehe ich die Dinge in einem etwas anderen Licht. Vor einigen Tagen kam mir nämlich ganz zufällig folgendes zu Ohren: Bei einem von der Gewerkschaft der Privatangestellten veranstalteten Betriebsräteseminar wurde über innergewerkschaftliche Demokratie diskutiert. Als typisches Beispiel für undemokratisches Verhalten wurde dabei die seinerzeitige einstimmige Zurückweisung des von mir gemachten Vorschlages einer Zwentendorfdiskussion durch die Bau-und Holzarbeiter angeführt und kritisiert.
Die damaligen Ereignisse haben also offenbar doch Spuren in der Gewerkschaftsöffentlichkeit hinterlassen, die auch heute, zwei Jahre später, noch nicht gänzlich ausgelöscht sind. Diese Erfahrung, durch eine Handlung winzige, aber immerhin in die richtige Richtung weisende Spuren hinterlassen zu haben, ist für mich so etwas wie eine kleine, nachträgliche Entschädigung für so manche im Zuge meiner Arbeit in der Gewerkschaft erlebten Gefühle der Sinnlosigkeit meines Tuns.




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