Zwischen den Stühlen - Klemperer, Bloch, Jünger

Dieses Bekenntnis Victor Klemperers - genau genommen heißt es "So sitze ich denn zwischen allen Stühlen", und ist Titel der Tagebücher 45-59 - könnte auch auf Ernst Jünger zutreffen und Ernst Bloch. Und einigen mehr. Aber diese drei habe ich gerade im Blick. (Kantorowicz gehört natürlich dazu. Und früher Karl Korsch ....)

Wie bei Klemperer ist es auch bei Bloch biographisch unmittelbar ersichtlich, dass sie in der Weimarer Republik aufgrund der auch institutionell abgesicherten Wirkungsweise eines basalen germanischen Antisemitismus' kaum Chancen auf ein ihren Leistungen entsprechendes akademisches Standing hatten. Bei Klemperer setzte der totale Schnitt erst mit dem Beginn der Naziherrschaft ein. Gegen die Germanobarbaren positionierte er sich ganz ähnlich wie Ernst Jünger als "im Kern deutsches Gewächs". Sein militärischen Einsatz im deutschen Heer während des Ersten Weltkrieges war für ihn eine nicht unwesentliche Legitimation; im Tagebuch weist er etliche Male darauf hin und erwähnt auch bei anderen jüdischen Verfolgten, wenn sie aus dem 1.WK mit militärischen Ehren bedacht gekommen waren. Bei Jünger war das sowieso der Fall.

Bloch dagegen hat bereits im 1. WK den nationalen Stuhl gegen die Wand gehaut und ist gegen den deutschen nationalistischen Wahn von Anfang an immun gewesen. Seine Emigration in die Schweiz und die Aktivitäten in dortigen Kriegsgegnerkreisen ist ihm im Nachkriegsdeutschland nicht wirklich hoch angerechnet worden.

Außerdem hatte er sich 18 bis 20 zum Marxisten gewandelt und begrüßte mit einigen Einschränkungen die Russische Revolution, auch wenn sie ihm, besser seiner damaligen Frau, ein Vermögen gekostet hatte.
Arno Münster verweist in seiner Blochbiographie auf eine Aussage in der "typischen Mischung von Weisheit und Witz":
Mit dem welthistorischen Ereignis der Oktoberrevolution seien für ihn gewiß auf einen Schlag mehrere Millionen Rubel verloren gewesen, davon abgesehen aber habe sich diese Revolution dennoch gelohnt.
Dass er ein durch und durch unorthodoxer Marxist war und sich damit auch von seinem marxistischen Anreger Lukacs absetzte, weil er sowohl dem Expressionismus positiv gegenüber stand als auch sein gesamtes Kulturbild ein viel breiteres und weiteres als der neuen Marxisten geworden ist (siehe Formalismusstreit). Wobei es nicht einer gewissen Ironie entbehrt, dass ausgerechnet Bloch die Moskauer Prozesse verteidigte, was ihm bei den Adornos und Horkheimers in gewisser Weise zurecht übel angerechnet wurde. Weitere Ironie ist, dass ihm dieses Bekenntnis zur Stalinschen Diktatur, das wesentlich durch den Entweder-Oder-Reflex angesichts der Hitlerdiktatur bestimmt gewesen sein dürfte, Horkheimer es nicht nur wegen der Intrigen Adornos leicht fiel, Bloch eine Anstellung beim "Institut für Sozialforschung" in New York zu verwehren, weil er fürchtete, dass in der damaligen antikommunistischen Stimmung in den USA "sein" Institut durch die Anstellung eines Kommunisten kompromittiert werden würde. Ironie geht weiter, denn als mit dem Kriegseintritt der USA plötzlich der Antinazismus en vague wurde, hieß das noch lange nicht, dass den deutschen Emigranten von der Regierung nun positiver entgegengetreten wurde, im Gegenteil, sie wurden gerade wegen ihrer Nationalität mehr überwacht. Und nach dem Krieg im Vorfeld der McCarthy-Ära war die Scheidemünze bei der Kontrolle dieser Emigranten, ob sie VOR oder NACH der Kriegserklärung bereits antinazistisch gewesen seien. Wer es vorher war, wurde wegen des Kommunismusverdachts misstrauischer und rigider behandelt! In der DDR wiederum, wo er anfangs mit großer Ehrerbietung behandelt wurde, erfuhr Bloch schließlich am eigenen Leib, dass den aus den westlichen Ländern zurück gekommenen Emigranten ein steigendes Mißtrauen entgegen schlug (Im Kantorowicz-Tagebuch steht dies sehr eindringlich beschrieben). Und eine letzte Ironie: als er bereits das Ziel von heftigen Angriffen in der DDR geworden war, wies er in einer Gegenschrift darauf hin, dass er wegen seiner prokommunistischen Einstellung, die sich unter anderem in jener Schrift über die Moskauer Prozesse geäußert hatte, in den USA Nachteilen ausgesetzt war. Diese Prozess-Schrift wurde übrigens in der vom Suhrkamp herausgegebenen ersten Ausgabe der Gesammelten Werke nicht aufgenommen, erst als ein Journalist einen Skandal daraus machte, kam sie in der nächsten Auflage hinzu. In der Summe also eine Menge Stühle, auf die Bloch nicht zu sitzen gekommen ist. Neu für mich dagegen ist, dass auch Jünger aus einer völlig anderen Biographie her und mit einer völlig anderen Geisteshaltungen die meiste Zeit seines recht langen Lebens nicht lange einen Sesselplatz finden konnte. Alle gewohnten Etiketten wie Nationalist, Konservativer, Militarist, rechter Anarch.... halten nur bedingt und werden stets wieder durch Schriften und Aktivitäten konterkariert. Allerdings kenne ich noch zu wenig von ihm, doch finden sich in Martin Meyers "Ernst Jünger" und Koslowskis "Mythos der Moderne" einige Hinweise. Den "Mythos" habe ich nur angelesen. Den Meyer jetzt begonnen, weil ich gegen Ende des Zweiten Pariser Tagebuchs immer mehr das Manko des fehlenden Hintergrundwissens über Jüngers gedanklichen Background und über den Grad der Authentizität der im Tagebuch geschilderten Ereignisse und Gedanken verspürte - es hat ja, wenn ich mich erinnere, beim Erscheinen der Strahlungen einige Kritik an beschönigender Redigierung durch den Autor gegeben. An sich hatte ich nur ein wenig beim Jünger rein schauen wollen, als Einblick in eine Parallelwelt zu den Blochs und Adornos und Klemperers. Aber da ist viel mehr drinnen, scheints. Werde wahrscheinlich nicht um den "Arbeiter" herumkommen.

Ahja, vergessen habe ich noch: im Gegensatz zu Bloch etc. würde ich Adorno, Horkheimer u.a. keineswegs als zwischen den Stühlen befindlich charakterisieren. Bei ihnen überwiegen die Eindeutigkeiten: sie wechseln höchstens die Stühle, während Bloch nur ausnahmsweise auf einem zu sitzen kommt.

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