Tucholsky, Klaus Mann u.a. zu Jünger

In Helmuth Kiesels Jüngerbiographie wird im Abschnitt zu Jüngers ultranationalistische rHaltung in der Zeit zwischen 1. Weltkrieg und ca. 1930 unter anderem Tucholsky zitiert, der in einer Besprechung der "jungen Nationalen" auf Jünger bezogen meint:
"Kein Mensch vermag eine ganze Epoche seines Daseins als sinnlos zu empfinden. Er muss sich einen Vers darauf machen. Er kann seine Leiden verfluchen oder loben, zu verdrängen versuchen oder sie lebendig halten - aber daß sie sinnlos gewesen seien, das kann er nicht annehmen"[261]
Ein anderer Publizist, der Herausgeber des linksliberalen Tage-Buchs, Leopold Schwarzschild, formulierte auch fast eine Entschuldigung fürJüngers reaktionären Nationalismus, indem er zu einem in seinem Blatt aufgenommenen Aufsatz des "unbestrittenen geistigen Führers jenes 'jungen Nationalismus'" schreibt:
Wäre Jünger im Krieg nicht in "Führerstellung" gehoben worden und hätte er in dieser Position nicht die Chance gehabt, sich heroisch zu beweisen und dafür Anerkennung zu finden, so wäre er nicht zu einem Lebensrezept gekommen, das derart stark auf die Persönlichkeit setzt - und allerdings auch in Kauf nimmt, dass für die "Steigerung Weniger mit der Erniedrigung Vieler bezahlt wird".[298f]

Um den "Milieutheorien" dieser beiden Stellungnahmen noch eine weitere hinzuzufügen: es besteht die Möglichkeit, dass Jünger über seinen philosophischen Mentor Fischer hinaus durch die teilweise doch sehr sorgsame Behandlung durch linke Intellektuelle naturgemäß nicht nur geschmeichelt war, sondern durch das weitgehende Fehlen adäquater Persönlichkeiten auf der rechtsradikalen Seite sich langsam "De-Nationalisierte". Was sich im Übrigen auch auf die Bearbeitung älterer Schriften für Neuauflagen auswirkte. Unter anderem führte er wieder Fremdwörter ein, die er bei früheren Bearbeitungen während seiner ultranationalen Zeit ausgemerzt hatte.

Neben Remarque, Zuckmayer und anderen von Kiesel angeführten Publizisten, setzte sich auch Klaus Mann mit Jünger in sehr differenzierter Weise auseinander, die dem sehr nahe kommt, wie J. mir angesichts meiner bisherigen Lektüre erscheint:
"Er verlockt zunächst mit seinem pathetisch blutrünstigen Todhaß gegen die Zivilisation und mit seiner finsteren Schwärmerei für den 'heroischen Kern des Lebens', für das tragische Weltbild, die Läuterung des Menschengeschlechts durch das Blutbad. Die Jugend hängt an seinen Lippen, wenn er seine düsteren Reden führt. Er ist der Rittersmann im schwarzen Stahle (...) Er ist der feindliche Typ unter den Jungen, den zu befehden sich's lohnt (...)

Dass er schreiben kann, erst das macht ihn gefährlich. Seinen Gaben nach gehört er zu uns; den Arnolt Bronnen [der vom Kreis um Brecht zu Goebbels gewechselt ist] gönnen wir gerne denen drüben. Aber ein Geist von der finsteren Glut Jüngers kann Unheil stiften (...)

So horchen all die jungen Teutschen (...) neugierig auf, wenn ihr Führer den Begriff der individuellen Freiheit kurzweg für 'antiquiert erklärt'; dabei ahnen die treuen Herzen nicht, wie unheimlich diee Redenart ihres Heros sich mit der grausig großartigen Formel Lenins berührt, der die Freiheit zu den bürgerlichen Vorurteilen rechnete."

Kiesel weist bei diesem Zitat besonders auf die Nähe zum Bolschewismus hin, die ja nicht nur durch die zeitweise sehr enge Beziehung zwischen Jünger und Niekisch in der Weise bestand, dass die Denkfiguren "Nationalismus" und "Bolschewismus" im Verlauf von Niekischs Entwicklung zur Einheit wurden. Und beide einte die Ablehnung von Hitlers Pöbeltruppe gegen Ende der 20er Jahre.

Auf strukturelle Ähnlichkeiten in der Haltung von Links- und Rechtsradikalen in und zu der Weimarer Republik wird von Kiesel mehrfach verwiesen, nicht um Jünger zu exkulpieren, sondern um den Blick auf ihn auch aus der Zeit heraus zu entwickeln.

Als wesentliches gemeinsames Merkmal würde ich die "Entschiedenheit" nehmen. Die Bereitschaft, einen absoluten Schlussstrich zu ziehen, was common sense ist. Während die Rechten sich ihre Legitimation aber aus tiefer mystischer Vergangenheit holten, suchten die Linken die ihre aus der Zukunft abzuleiten.
Ernst Blochs Beschwörungen in "Erbschaft der Zeit", sich doch auch der Quellen der anderen Seite zu bedienen, bzw. diese als die ursprünglich eigenen anzusehen, konnte gegen die "Entschiedenheit" der Linken nicht ankommen. Wobei ja auch Bloch sich selber an die vermeintliche Zukunft Sowjetunion anklammerte.

Erinnert mich an die Wiederholung dieser Geschichte als Farce in den 70ern: auch hier war nach 68 alles auf "entschieden getrimmt", ein Degenhardt sang: Poesie ist Krampf im Klassenkampf" und ging zur DKP, und die Maoistisierten übernahmen Begriffe, Sprachgebrauch und Organisationsformen aus den 20er und 30er bis zur Implosion Anfang der 80er.





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