Bibliothekare: "Eine Art Küster"

In Beamte. Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Aspekte des k.k. Beamtentums" von Karl Megner wird auch auf das Schicksal der Bibliothekare und auf ihr Ansehen im k.k.Beamtenstaat eingegangen.

Bibliothekare (und Archivare) wurden sozial und bürokratieintern als bessere Magazineure, „eine Art Küster“, als Verwahrer dessen, was nach dem Skartieren übrig blieb („alte Registratur“), als skurille, graue Mäuse angesehen, die das Tageslicht scheuen und in alten Scharteken bzw. Akten lesen (Spitzweg-Image). Bis zum heutigen Tage bemühen sich einige Angehörige der genannten Dienstzweige, diesem Image gerecht zu werden.
Im 19. Jahrhundert waren die Bibliotheken mit dem systemisierten Personal nur schwer in der Lage, der steigenden Informationsflut Herr zu werden. In der Bibliothek der Universität in Wien arbeiteten im Jahr 1832 ein Bibliothekar, zwei Custoden und zwei Scriptoren. Sechzig Jahre später waren zusätzlich fünf Praktikanten und 19 Volontäre zur Aufrechterhaltung des geordneten Bibliotheksbetriebes notwendig. 15 Volontäre erhielten jährlich je 300fl. „Remuneration“, weniger als die Hälfte des niedersten Beamtenbezuges! Bereits im Jahr 1873 wurden die Bibliothekare an staatlichen Bibliotheken durch Bestimmungen der ersten umfassenden Rang- und Gehaltsregelung für k. k. Beamte diskriminiert. Der Unterrichtsminister hatte im Parlament im Interesse der sozialen Distanzierung vor allem der Universitätsprofessoren den Einwand gebracht, wenn die Universitätsbeamten und Bibliothekare nach dem neuen Gesetz besoldet würden, könnten die Bibliothekare bis zu 3600fl. jährlich erhalten, während ein Professor der Wiener Universität maximal 3200 fl. Gehalt beziehe. Dieser Argumentation schloß sich die Majorität des Abgeordnetenhauses schließlich an. Der hierarchische Unterschied zwischen den Universitätsprofessoren und den Bibliothekaren blieb auch im finanziellen Bereich bestehen.
Im Jahr 1889 wurden die Bezüge der Bibliothekare an den Universitäts- und Studienbibliotheken und an den Bibliotheken der technischen Hochschulen erhöht. Der höchste erreichbare Bezug (Bibliothekar an der Universitätsbibliothek Wien) betrug nun 2600 fl.; ein ranggleicher Beamter (VI. Rangklasse) eines anderen Verwaltungszweiges erhielt zwischen 2800 und 3600 fl. Bei den Custoden, Scriptoren und Amanuensen war die Benachteiligung in der Relation noch größer: Ein Amanuensis, der in der neunten Rangklasse war, erhielt um 500 fl. weniger als ein gleichfalls in der neunten Rangklasse stehender Gymnasialprofessor. „Das ist doch keine Lösung der Existenzfrage für Männer zwischen 30-40 Jahren“, schrieb die Beamtenzeitung und forderte, daß Anwärter für den Bibliotheksdienst ein mit Doktorgrad abgeschlossenes Studium nachweisen müßten; dann allerdings müßten die Gehälter entscheidend aufgestockt werden. Bloße Einreihung in höhere Rangklassen genüge nicht, denn:
„Geld ist in gewissem Sinn auch Ehre, jedenfalls ist es Mittel zur äußeren Ehre... Rangclasse und Gehalt gehören untrennbar zusammen und postuliren einander“.
Auch die Titel der Bibliothekare wurden als obsolet betrachtet. „Amanuensis und Scriptor... wird kaum jemand gebrauchen, der das Recht hat, mit einem academischen Titel angeredet zu werden.“
Erst im Jahr 1896 wurden die Bibliothekare der staatlichen Bibliotheken auch gehaltsmäßig dem allgemeinen Besoldungsschema eingegliedert.
Ganz läßt sich der Eindruck nicht abstreifen, dass sich die Position der BibliothekarInnen - sowohl wiss. als auch öff. - nicht wirklich gebessert zu haben scheint.
Weder was die Bezahlung betrifft, noch hinsichtlich der Anerkennung durch Dienstgeber und mediale Öffentlichkeit kann einem so richtig warm ums Herz werden.
Dass auch der Verfasser dieser Studie ein in dieser Allgemeinheit sicherlich unzutreffendes Vorurteil weiter pflegt, läßt sich aus dem von mir angefetteten Satz durchaus vermuten.
Vor die Wahl gestellt zwischen Geld oder Titel würden wir heutigen BibliothekarInnen sicher auch gerne zum schnöden Mammon greifen. Doch diese Wahl wurde uns auch durch die Gemeinde Wien nicht angeboten. Stattdessen eliminierte sie quasi ohne Lohnausgleich für die B-Bediensteten alle Titel unterm Amtsrat, was so schöne Anreden wie "Büchereiverwaltungsoberkommissär" heute nicht mehr zulässt.
Die C-Bediensteten dagegen dürfen den vergleichbaren Titel (ohne "verwaltungs") aber weiter führen, da diese Position für die B-Bediensteten ein Posten in der Regellaufbahn ist, für die C-Bediensteten dagegen ein Aufstiegsposten - der letzte :-)
Aber auch die C-Bediensteten, die, auch das sei hier erwähnt, in den Wiener Büchereien die selbe Arbeit wie die B-Bediensteten machen, wurden nicht gefragt, ob sie Titel gegen "Gerstl" tauschen wollten. Was wohl ihre Antwort gewesen wäre?

adresscomptoir - 2008.06.12, 22:24

Lustig ist allerdings, dass Karl Megner ausgebildeter Bibliothekar ist und bis 1992 in der NB und danach in der Parlamentsbibliothek gearbeitet hat.

haftgrund - 2008.06.14, 21:45

ja, in der Tat :-)
Ein Kollege hat mich inzwischen auch schon darauf aufmerksam gemacht, vielleicht sollte ich den Vorurteilsverdacht stornieren - der Mann weiß offenbar, wovon er schreibt ...
rainer3 - 2008.07.04, 23:54

Nun ja, liebe Nachgeborene ...

Liebe Kolleginnen und Kollegen!


Das Buch erschien vor mehr als zwanzig Jahren. Viele A- und B-Bibliothekare, wie ich sie kennen gelernt habe, ließen sich in Gruppen einteilen:

1.) Zwar grundsätzlich Freude am Buch, aber:
* zwanghafte Horter und Sammler (nach Freud Störungen in der analen Phase)
* Bibliophile, die Leser grundsätzlich als ihre Feinde ansahen (siehe Umberto Eco)
* Schutzbedürftige, die im „freien Berufsleben“ untergegangen wären
* Ätherische Tussis / weibliche und männliche „eiserne Jungfrauen“ und dergl.
* Kommunikationsgestörte, sonstige Soziopathen (ein Buch redet nicht zurück)
2.) Im Studium gescheiterte Existenzen – daher B-Laufbahn, auch städtische Büchereien !
3.) Univ.- Ass., denen die Habil nicht gelungen ist
4.) Tachinierer, die schnell die Pragmatisierung anstrebten und dann ein bequemes Leben führen wollten (es soll auch Lehrer geben, für die z.B. drei Monate Ferien entscheidende Gründe für die Berufswahl sind …). Bücher waren ihnen egal. Sie hätten auch wenig Arbeit machende Blumentöpfe verwaltet.

Bei einigem Nachdenken käme man noch auf weitere Gruppen. Alle diese bildeten den Humus für das Gedeihen von Spitzweg-Typen, säkularen Mesnern und Küstern, Cavaliere Huscher-Verschnitten, Lemuren und sonstigen Absonderlichkeiten.

Ein weiser alter Bibliothekar (Walter Pongratz) sagte einst: „Eine Bibliothek ist der Sammelplatz gescheiterter Existenzen – sowohl vor wie auch hinter der Theke.“

Service-Gesinnung. Sie ist für mich die ethische Rechtfertigung, diesen Beruf zu ergreifen: Anderen (und sich selbst) den geistigen Reichtum erschließen, vermitteln, jedoch Wertvolles bewahren und an die nächsten Generationen weitergeben. Diese Service-Gesinnung wurde sehr stark von den „Onlinern“ gepflegt, die damals über „Radio Austria“ mit 300 Baud in der Minute für ihre Kunden in Datenbanken recherchierten und, als Proponenten eines gänzlich neuen Mediums, unter einem gewissen Erfolgszwang standen. Online-Bibliothekare gab es damals in Österreich vielleicht dreißig, vierzig. Selbstverständlich war diese Service-Gesinnung auch im Bereich der „normalen“ Bibliothekare anzutreffen – ich wage jedoch nicht zu quantifizieren, ob die Angehörigen der Gruppen 1 – 4 überwogen oder nicht …

Mittlerweile ist alles anders. Die Bibliotheken mutieren mehr und mehr zu automatisierten Anstalten, zu EDV-gesteuerten Fließbandsystemen, die wenig Platz für Sonderlinge bieten. Lohndumping, Sponsoring (ein vornehmes Synonym für würdelose Bettelei), Personalfluktuation, Verlust an wertvollem Berufswissen und andere Grauslichkeiten herrschen vor. Nur die Spitzenposten sind exzellent bezahlt. Insider kennen die Verhältnisse der ÖNB und der „ausgegliederten“ UB’s.
Aber das ist ein anderes Thema …

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