Ein Ehrenamt für die Kulturnation

Der Kurier bringt ein Interview mit Gerald Leitner, Geschäftsführer des Büchereiverbands Österreich (BVÖ) und Präsident der Europäischen Bibliotheksverbände:
Zugpferde für die Kulturnation
"Österreich liest" Prominente und Bibliotheken engagieren sich für das Lesen. Die Situation der Büchereien aber ist unbefriedigend. Josef Hickersberger hat endlich Zeit dafür. Toni Innauer fliegt darauf. Und für Anna Netrebko gehört es zum guten Ton: Lesen.
Prägnante Persönlichkeiten werben für die Kampagne „Österreich liest“. Die zum dritten Mal stattfindende Leseaktion (siehe rechts) wird heuer erstmals von Deutschland übernommen. Auch andere Länder fragen um das Erfolgskonzept an.
Die prinzipielle Situation von Österreichs Bibliotheken hingegen ist höchst unbefriedigend. Ein Gespräch mit Gerald Leitner, Geschäftsführer des Büchereiverbands Österreich (BVÖ) und Präsident der Europäischen Bibliotheksverbände.

KURIER: Sie treten seit Jahren für ein Bibliotheksgesetz ein. Wie ist der Stand der Dinge?
Gerald Leitner: Die Kulturnation Österreich gehört zu dem einen Drittel von 27 europäischen Staaten, die kein Bibliotheksgesetz haben. Erfreulicherweise waren die Bibliotheken aber erstmals Teil des Regierungsprogramms. Mit Ministerin Claudia Schmied und den Beamten gab es gute Gespräche, Entwicklungskonzepte wurden besprochen. Wenn die neue Regierung diese Vorarbeiten nicht aufnimmt, bleibt es wieder beim Lippenbekenntnis.

Warum ist eine gesetzliche Regelung so wichtig?
Die Situation ist ein absolutes Unikum: 90 Prozent der Bibliotheken werden ehrenamtlich betreut, was, bei allem Engagement, z. B. benutzerunfreundliche Öffnungszeiten zur Folge hat. Das ist der höchste Anteil in Europa. Der Bund müsste, gemeinsam mit den Ländern, Anreize für Verbesserungen geben. Derzeit finanzieren die Träger (Städte und Gemeinden, Pfarren, AK und ÖGB, Anm.) 95 Prozent der Bibliotheksarbeit. Da fehlt der Motor zur Modernisierung.

Welche Veränderungen wären am nötigsten?
Eine bessere Ausstattung, mit Internet, digitalen Medien, aber auch größere Räume. Damit eine Bibliothek nicht nur Ausleihstation, sondern ein atmosphärisch angenehmer und integrativ wirkender Ort der Kommunikation ist. Es bräuchte Geld, damit das Personalbezahlt und geschult, für neue Servicebereiche sensibilisiert werden kann.

Immerhin hat Wien eine moderne, neue Bücherei, und Linz und Salzburg ziehen nach ...
Ja, daran kann man schön den Zugpferd-Effekt sehen. Aber es soll in allen Bundesländern, auch in kleinen Gemeinden, ein befriedigendes Angebot geben. Und, so toll unsere Hauptbücherei mit 6.000 m² ist: In Amsterdam wurde letztes Jahr eine neue mit 28.000 m² eröffnet.

Gibt es direkte Zusammenhänge zwischen dem finanziellen Einsatz für Bibliotheken und der Nutzung und Bildung der Bürger?
Natürlich, Finnland hat da z. B. Vorbildcharakter: Es hat tolle PISA-Ergebnisse, Schulen und Bibliotheken arbeiten eng zusammen. Pro Person werden dort jährlich 50 bis 60 Euro dafür investiert, 50 Prozent der Bevölkerung sind eingeschriebene Nutzer. In Österreich geben Bund und Länder nur 5 Euro pro Person dafür aus. Und nur 10 Prozent der Bevölkerung nutzen eine Bibliothek.

Sollten die Vorarbeiten für ein Bibliotheksgesetz wieder aufgenommen werden – wie lange würde es dauern, damit sich etwas ändert?
Damit ein nationales Konzept wirklich greift, braucht man Jahre. Und es muss direkt, z. B. im Kampf gegen Analphabetismus, in die Kulturpolitik eingebunden sein. Österreich kann es sich nicht leisten, dass das jetzt wieder liegen bleibt.

Artikel vom 16.10.2008 10:02 | Caro Wiesauer

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