Raubgut, Nestschmutz und der ewige Dienstweg

Im aktuellen Spiegel 48/2008 S 58 ff wird über den Umgang mit Raubgut in deutschen Bibliotheken berichtet:

Die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen etwa ist stolz auf ihren hochmodernen Scan-Roboter. Beim Thema Digitalisierung ist sie bundesweit führend. Nur die Vergangenheit interessiert sie offenbar weniger.
Es war ein Referendar, der Ende vergangenen Jahres einen Blick in die verstaubten Zugangsbücher aus den Jahren des Zweiten Weltkriegs warf. Dort stieß Arno Barnert auf Lieferungen aus dem „Beutelager" der Wehrmacht in Göttingen. Er fand Zugänge aus Krakau, Posen, dem polnischen Konsulat in Leipzig und einem Gymnasium im niederländischen Enschede. Als „Ankauf" eingetragen waren Bücher des Wiener Goethe-Experten Friedrich Fischl, der 1941 deportiert und im Ghetto von Lodz ermordet worden war.
Barnert informierte die Bibliotheksleitung. Wenige Tage später bekam der Referendar den Besuch eines Bibliotheksdirektors, der dem jungen Mann empfahl, das NS-Raubgut besser nicht zum Thema seiner Abschlussarbeit zu machen. Damit werde er sich keine Freunde machen und zudem die Chancen auf einen Job nicht verbessern. Möglicherweise werde man ihn als Nestbeschmutzer ansehen.
Doch Barnert suchte weiter. „Die Wege und Geschichten von Büchern, die in der NS-Zeit erworben wurden, zu dokumentieren ist für Bibliothekare eine grundlegende Aufgabe, eine Frage der Ethik", sagt er. Im Februar tat sich Barnert mit dem Göttinger Germanisten Frank Möbus zusammen, der gerade eine Ausstellung zum Thema Bücherverbrennung vorbereitete.
Im Stadtarchiv fand Möbus Dokumente, die belegten, dass im März 1933 in Göttingen SA-Männer zusammen mit Polizisten bei einem kommunistischen Buchhändler 890 Bände beschlagnahmt hatten. Einen Teil bekam die Staatsbibliothek in Berlin, einen Teil die Universitäts-Bibliothek Göttingen.
Möbus unterrichtete die Göttinger Universitätsleitung, die beschloss, im Rahmen eines Forschungsprojekts NS-Raubgut in der Bibliothek ausfindig machen zu lassen. Referendar Barnert hingegen hatte sich von seinem Vorgesetzten noch lautstark belehren lassen, er habe den Dienstweg missachtet.
Der Dienstweg ist deutschen Bürokraten immer schon teuer gewesen, und er wurde in deutschen Bibliotheken selbst in den Wirren des Zweiten Weltkriegs beim Bücherraub zumeist eingehalten.

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