Konsequenz

    Als er von Vázquez' Verlobung erfuhr, ging er zum Zahnarzt und ließ sich die Zähne ziehen. Es schien die einzige Lösung zu sein, mit physischem Schmerz seinen letzten emotionalen Fehlschlag vergessen zu machen.
James Woodall: Jorge Luis Borges

Vorhaut Jesu (sancta praeputia)

    Bei dem sogenannten sanctum praeputium handelt es sich um einen jahrhundertelang an mindestens 13 Orten verehrten, angeblich bei der Beschneidung des Knäbleins Jesus von Nazareth (Lk 2, 21) gewonnenen, als singuläre Herrenreliquie geltenden und entsprechend wundersam überlieferten Körperteil Jesu.
    Beispiele: Schon eine Reihe von Kirchenvätern quälte das ungewisse Schicksal dieser Vorhaut, die Jesus bei seiner Beschneidung verloren haben mußte: War das praeputium verwest, geschrumpft, nachgewachsen? Schuf sich der Herr ein neues? Besaß er es beim Letzten Abendmahl, als er das Brot in seinen Leib verwandelte? Trug er es bei seiner Himmelfahrt, trägt er es im Himmel selbst? Ist es seinen Proportionen adäquat? Wie verhält sich seine göttliche Natur zu diesem Körperteil des Mannes Jesus? Kann die Reliquie überhaupt echt sein - und wenn ja, muß sie angebetet oder, wie andere Reliquien, bloß verehrt werden? - Die Vorhaut, im kirchlichen Schamgefühl »heilige Tugend« genannt und von Nonnen als »Verlobungsring« der Braut Jesu mystifiziert, wurde wegen ihres besonderen Charakters gleich an mehreren Orten in Italien, Frankreich, Belgien, Deutschland verehrt. - Kaiser Karl I. d. Gr. soll die bis dahin verschollene Vorhaut Jesu von einem Engel überbracht bekommen und im Dom zu Aachen beigesetzt haben. Später ist diese Vorhaut angeblich nach Carosium gelangt und soll mittlerweile in der Sancta Sanctorum zu Rom liegen, zusammen mit der Nabelschnur Jesu und seinen Sandalen. - Innozenz III., ansonsten kein zur Resignation neigender Herrscherpapst, zeigte sich entmutigt ob der Tatsache, daß in mehreren Kirchen seiner Zeit Vorhäute Jesu vorgezeigt wurden, und riet, die Angelegenheit am besten Gott zu überlassen.
    Während einer Ekstase der hl. Katharina von Siena soll ihr Jesus als Vermählungsring seine Vorhaut geschenkt haben. Dieser Ring, den angeblich nur Katharina selbst hatte sehen können, ziert noch immer den Fingerknochen der Heiligen, der zusammen mit ihrem Kopf in S. Domenico zu Siena verehrt wird.
    A. V. Müller führt 1907 in seiner Abhandlung über »Die hochheilige Vorhaut Christi« immerhin 13 Stätten auf, die sich des Besitzes der wahren Vorhaut Jesu rühmten: die Laterankirche in Rom, Charroux bei Poitiers, Antwerpen, Brügge, Paris, Boulogne, Besancon, Nancy, Metz, Le Puy, Conques, Hildesheim, Calcata. - Regelrechte praeputium-Mystiken und Vorhautkulte sind bezeugt: Speziell bestellte Vorhautkapläne sorgten beispielsweise in Antwerpen für die angemessene Liturgie, die bis zu feierlichen Hochämtern zu Ehren des hl.Teils reichten.-Zu dem im französischen Charroux verehrten Teil, dem noch zu Zeiten Voltaires und Goethes eine günstige. Wirkung auf den Verlauf der Geburt zugeschrieben wurde, pilgerten vor allem Schwangere. - Seit 1112 oder 1114 wurde in der Kirche Unserer Lieben Frau zu Antwerpen eine weitberühmte Vorhaut gezeigt. Sie hatte bereits ein Wunder gewirkt: Der Bischof von Cambrai hatte drei Blutstropfen von ihr fallen sehen. Der Klerus ließ eine prächtige Kapelle und einen Altar aus Marmor für sie errichten; Prozessionen mehrten ihren Ruhm. 1426 wurde in Antwerpen eine Bruderschaft van der heiliger Besnidenissen Jhesu Cristi in gegründet, der 24 vornehme Geistliche und Laien angehörten. Papst Eugen IV. stattete die Mitglieder der Vorhaut-Bruderschaft mit Ablaß und Privileg aus. Obwohl die Antwerpener Vorhaut bereits beim Bildersturm von 1566 verschwunden sein soll, ist ihre Verehrung noch im 18. Jahrhundert nachzuweisen. - Die in Rom bewahrte Vorhaut machte der Antwerpener Reliquie so große Konkurrenz, daß deren Klerus verstärkt Reklame für den Eigenbesitz machen mußte, wobei freilich zuzugeben war, daß nicht die gesamte Vorhaut Jesu vorgezeigt werden konnte, wohl aber ein beachtliches Stück davon (notanda portiuncula). Für die Echtheit des römischen praeputium hatte sich die Nationalheilige Schwedens, die hl. Birgitta, unter Berufung auf die Gottesmutter Maria selbst verbürgt. 1527 wurde beim Sacco di Roma die römische Reliquie aus derSancta Sanctorum entwendet (und nach Calcata gebracht), dann aber wiedergefunden und von verschiedenen Päpsten (SixtusV. 1585, UrbanVIll. 1640, Innozenz X. 1647, Alexander VI l. 1661, Benedikt XII. 1724) mit Segen und Ablaß versehen, wenn sie sich auch nicht für die Echtheit des Stücks verbürgen wollten. - Bischof J. Pie von Poitiers erkannte das 1856 wundersam wiederaufgefundene Reliquiar seiner Stadt, in dem eine hl. Vorhaut lag, nach zweijähriger Prüfung als echt an. Dann richtete er eine Lotterie ein, um eine Kapelle für die Reliquie erbauen zu können. - 1874 sollen Vorhaut-Ringe auch bei den beiden Stigmatisierten C. Fenouil und M.-J. Jahenny ausgemacht worden sein; 14 Männer sollen einen von ihnen anschwellen gesehen haben; ein französischer Bischof war damals »voller Begeisterung«. - Der Vatikan ordnete wegen des Spotts der Nicht-Katholiken über die angebliche Reliquie im Februar 1900 an, es sei unter Strafe des Kirchenbanns verboten, weiter über diese zu sprechen oder zu schreiben; die Fremdenverkehrswerbung durfte sich künftig nicht mehr des Themas annehmen.
Quelle: Horst Herrmann: Lexikon der kuriosesten Reliquien. Rutten & Loening 2003 S. 218 f.

Sambaprotest

Lateinamerikagipfel in Wien. Politiker sehen die Botschaft des Volkes



Die diesjährige Sambakönigin protestiert beim Amerikagipfel gegen die Umweltzerstörung durch europäische Papierkonzerne

"Ein neues Zeitalter hat in Lateinamerika begonnen. Manche nennen es Populismus, um unsere Schönheit zu verstecken. Aber es ist die Stimme des Volkes, die gehört wird."(Chavez)

Nachtrag 30.7.06: Chavez sagt aber auch solches:
"Was Israel im Libanon macht, gleicht den Taten Hitlers, der Tod und Zerstörung in der Welt gesät hat".
Hl. Che! Schütze uns vor populistischen Antiimperialisten!

Apropos Che.... Aber das ist eine andere Geschichte...

Mob is in the Air

    "Wo ich mich zeige, liegt Mobbing in der Luft"
Walter Kempowski

Der gute Hirte ist eine Ich-AG

In Johannes 10,11-18 heißt es:
    Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe. Der bezahlte Knecht aber, der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören, läßt die Schafe im Stich und flieht.... Er flieht, weil er nur ein bezahlter Knecht ist und ihm an den Schafen nichts liegt. Ich (dagegen) habe Macht (mein Leben) hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen.
Naja, so gesehen fliehe ich lieber und bleibe ein bezahlter Knecht.

Gott mit 66 Jahren zum dritten Mal Vater

ist im ORF-online zu lesen

... mit 66 Jahren fängt das Leben wieder an. Auch für Gott.
Aber wie Jesus aufs Geschwisterl reagiert hat,wird leider nicht berichtet. Und wer wars zweite?

Ein solides Quadrat der Macht

      Im Augenblick der Nominierung sah unser Herr den gebeugten Kopf desjenigen vor sich, den er zu hohen Würden berief. Aber selbst der weitreichende Blick unseres Herrn konnte nicht erkennen, was dann mit diesem Kopf geschehen würde. Der Kopf, der sich im Audienzsaal locker auf dem Hals bewegt hatte, veränderte schon beim Passieren der Tür seine Haltung, er hielt sich hoch und steif und nahm eine kraftvolle und entschlossene Gestalt an. Ja, mein lieber Herr, die Macht der kaiserlichen Ernennung war schon erstaunlich! Denn ein ganz gewöhnlicher Kopf, der sich vorher natürlich und frei bewegt hatte, jederzeit bereit, sich zu drehen und zu wenden, zu nicken und zu neigen, unterlag jetzt, gesalbt mit der kaiserlichen Ernennung, einer verblüffenden Beschränkung: von nun an bewegte er sich nur mehr in zwei Richtungen — zum Boden hinunter, in Anwesenheit des ehrwürdigen Herrn, und nach oben, in Anwesenheit der übrigen Menschen. Einmal auf dieses vertikale Geleise gesetzt, war der Kopf nicht mehr beliebig beweglich, und wenn jemand von hinten herantreten und plötzlich rufen würde: »Hallo, mein Herr!« — könnte dieser sich nicht einfach nach dem Rufer umdrehen, sondern müßte die würdige Haltung bewahren und den Kopf mitsamt dem Körper in Richtung der Stimme wenden.
      Bei meiner Arbeit als Beamter des Protokolls im Audienzsaal fiel mir überhaupt auf, daß die Ernennung eine grundlegende physische Veränderung in den Menschen hervorrief. Das faszinierte mich, und ich begann, diesen Vorgang genau zu studieren. Vor allem die Figur des Menschen verändert sich. Vorher schlank und biegsam, nehmen die Umrisse jetzt immer deutlicher eine quadratische Gestalt an. Ein massives, solides Quadrat —- Symbol der Würde und des Gewichtes der Macht. Schon die Silhouette läßt erkennen, daß wir nicht irgend jemanden vor uns haben, sondern einen Ausbund von Würde und Verantwortung. Dieser Veränderung der Figur entspricht eine allgemeine Verlangsamung der Bewegungen. Ein Mann, der von unserem ehrwürdigen Herrn ausgezeichnet wurde, wird nicht springen, laufen, hüpfen oder herumtollen. 0 nein, sein Schritt ist gemessen, er setzt den Fuß fest auf den Boden, eine leichte Neigung des Körpers nach vorn signalisiert Bereitschaft, eventuell auftauchenden Hindernissen die Stirn zu bieten. Die Bewegung der Hände ist bedächtig, frei von jeder unkontrollierten und nervösen Gestik. Auch die Gesichtszüge sind strenger und irgendwie gefroren, ernst und verschlossen, aber immer noch fähig, plötzlich Zustimmung und Optimismus anzuzeigen; aber insgesamt wird das Gesicht so, daß wir keinen psychologischen Kontakt mehr mit ihm herstellen können. Man kann sich in seiner Gegenwart nicht mehr entspannen oder aufatmen. Auch der Blick verändert sich. Länge und Auffall-winkel werden anders. Der Blick verlängert sich auf einen Punkt hin, der außerhalb unseres Gesichtsfeldes liegt. Wenn wir daher mit einem Ernannten sprechen, können wir von ihm auf Grund der allgemein bekannten Gesetze der Optik gar nicht gesehen werden, weil sich sein Blickpunkt weit hinter uns befindet. Er kann uns nicht sehen, weil der Einfallswinkel seines Blickes sehr stumpf ist — nach dem sonderbaren Gesetz des Periskops schaut selbst noch der kleinste Ernannte weit über unseren Kopf hinweg in eine unerreichbare Ferne oder auf einen bemerkenswerten Gedanken. Wir haben jedenfalls das Gefühl, daß seine Gedanken vielleicht nicht unbedingt profunder sind als unsere, aber jedenfalls wichtiger und verantwortungsvoller; es erscheint uns daher sinnlos und kleinlich, ihm unsere eigenen Gedanken mitteilen zu wollen, und wir versinken in Schweigen. Aber auch der Günstling des Kaisers verspürt keine Lust zu reden, denn mit der Ernennung verändert sich auch die Art zu sprechen. Volle und klare Sätze machen einem einsilbigen Brummen, Knurren, Räus-pern, bedeutungsvollen Pausen, verschwommenen Worten und überhaupt einem Gehabe Platz, das anzeigt, er habe das alles schon längst und viel besser gewußt. Wir fühlen uns daher überflüssig und gehen. Sein Kopf bewegt sich auf seinem vertikalen Geleis von oben nach unten in einer Geste des Abschieds.
      Es kam aber vor, daß der gütige Herr nicht nur beförderte, sondern jemanden — wenn er illoyales Verhalten feststellte — leider auch degradierte oder ihn gar — mein Freund, verzeih mir den harten Ausdruck — mit Schwung auf die Straße warf. Dann konnte man ein Interessantes Phänomen beobachten: In dem Moment, da jemand die Straße berührte, verschwanden alle Anzeichen der Ernennung, die physischen Veränderungen wurden rückgängig gemacht, und der Gefeuerte war wieder wie früher. Er legte sogar eine nervöse und etwas übertrieben scheinende Neigung, sich zu verbrüdern, an den Tag, als wollte er die ganze Angelegenheit vergessen machen, sie mit einer Handbewegung vom Tisch wischen und sagen; »Ach, vergessen wir's«, als handelte es sich um eine Krankheit, die nicht der Rede wert ist.
Kapuscinsky, König der Könige. Eine Parabel der Macht. 1978

Erschien im selben Jahr, als die Vorlesungen Foucaults zur Gouvernementalität stattfanden. Wäre interessant ob die beiden je voneinander gewusst haben oder aufeinander Bezug nahmen.

Nicht mit jedem Biss

"Nicht mit jedem Biss in ein Henderl wird die Vogelgrippe mitgegessen" beruhigte der Landeshauptmann von Niederösterreich.

Aufklärung beruhigt in der Tat. Vor allem durch einen Landeshauptmann, der nach eigenen Angaben schon 1 Buch gelesen hat: "Der Schatz im Silbersee".

Antidepressiva im Jänner

Gegen die Jännermelancholie:

Diskursive Polizei

Im sehr vergnüglichen Buch von Jochen Hörisch: Theorie-Apotheke. Eine Handreichung zu den humanwissenschaftlichen Theorien der letzten fünfzig Jahre, einschließlich ihrer Risiken und Nebenwirkungen.
habe ich hellauf lachen und an jemanden denken müssen:
    Analytische Philosophie fungiert als diskursive Polizei: so wie Parmenides, Nikolaus von Cues, Hegel, Heidegger, Benjamin oder Adorno darf man nicht sprechen und denken. Analytische Philosophie ist deshalb unwiderstehlich für Köpfe, die Hegels, Heideggers oder Benjamins Schriften nicht verstehen und a priori fest davon überzeugt sind, daß das nur an diesen Schriften liegen könne. Der durchschlagende Erfolg der analytischen Philosophie dürfte auch mit ihrem herben Charme, ihrer Nähe zum common sense und ihrer Entschlossenheit zu Aufräumarbeiten zu tun haben (...)
    Zu rekursiven Funktionen, logischen Paradoxien oder gar zu Kurt Gödels 1931 erbrachten Nachweis, daß die formale Logik nicht nur unvollständig ist, sondern unvollständig sein muß und sich nicht aus sich selbst heraus konsistent begründen kann, unterhält die analytische Philosophie eher angespannte Beziehungen..
    Analytische Philosophie entlastet schlichte Köpfe von der Zumutung, allzu Dunkles und Überkomplexes rezipieren zu müssen – all das gilt fortan als haltloses Geraune von Leuten, die keinen klaren Gedanken fassen können Die Nebenwirkungen solcher Aufräumarbeiten sind gewaltig. Philosophie wird bescheiden, sehr bescheiden; sie verarmt. (...)
    Ist es nicht analytisch produktiver, mal einen kalkulierten und reflektierten Kategorienfehler zu riskieren, als zu schweigen? Z.B. Diesen klassischen Kategorienfehler, der ein argumentum ad homines gegen die Theorie ausspielt, die diese Menschen vertreten: viele analytische Philosophen fallen durch ihre unkontrollierten Affektausbrüche auf. Analytische Philosophen verlieren (die These wäre eine Feldforschung wert) häufiger die Contenance als z.B. Hermeneutiker, Hegelianer oder Dekonstruktivisten. Sollte der Umstand, daß sie sich Reden über das, was philosophisch eigentlich zählt, versagen müssen, damit zusammenhängen, daß sie sich transanalytisch so maßlos aufregen – z.B. über einen Artikel wie diesen?

Was Katholiken lesen duerfen

dass die katholische Kirche Luther, Galilei, Heine, Sartre und 5000 andere auf den Index gesetzt hat, wusste ich. Warum überrascht mich es aber, dass laut dem Kirchenhistoriker Wolf Adolf Hitlers "Mein Kampf" zwar knapp aber doch vor einer Aufnahme in diese Liste bewahrt wurde?