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Sie leuchtet online

In einer Zeit, da Österreich noch vor der von radicaler Seite gewünschten Lösung an acuter Langeweile zugrunde zu gehen droht, in Tagen, die diesem Lande sociale und politische Wirrungen aller Art gebracht haben, einer Öffentlichkeit gegenüber, die zwischen Unentwegtheit und Apathie ihr phrasenreiches oder völlig gedankenloses Auskommen findet, unternimmt es der Herausgeber dieser Blätter, der glossierend bisher und an wenig sichtbarer Stelle abseits gestanden, einen Kampfruf auszustoßen. Der ihn wagt, ist zur Abwechslung einmal kein parteimäßig Verschnittener, vielmehr ein Publicist, der auch in Fragen der Politik die "Wilden" für die besseren Menschen hält und von seinem Beobachterposten sich durch keine der im Reichsrath vertretenen Meinungen locken ließ. Freudig trägt er das Odium der politischen "Gesinnungslosigkeit" auf der Stirne, die er, "unentwegt" wie nur irgendeiner von den ihren, den Clubfanaticern und Fractionsidealisten bietet.
Die Fackel ist online

Freundet

Spiegel: Viele der Helden waren befreundet, haben sich aber nach der Aktion überworfen. Wie kam es dazu?

Biermann: Naja, die waren vorher schon ziemlich zerfreundet.

Spiegel: Aber eben auch befreundet.

Biermann: Befreundet auch. Das kommt ja hinzu, wenn man lebendig verfreundet ist und in einer Gesellschaft lebt, wo so viel Druck auf einen ausgeübt wird, wo viele versuchen, kein Schwein zu werden, aber auch nicht den Heldentod zu sterben.
Der Spiegel 44/06

Raumgeruch

    Der ganze Raum roch nach ranzig gewordenem Intellekt
gefundn in Ian Rankin, Die Sünden der Väter

Freie Indios sind auch kluge Indios ...

Und klüger als selbst A. von Humboldt es verstehen kann :-))
    Der Unterschied zwischen freien Indios – also solchen, die es teils durch Glück, teils durch kriegerisches Gebaren geschafft hatten, sich die Mönche vom Halse zu halten – und jenen, die gezwungen waren, in den Missionen zu leben, fiel Humboldt besonders ins Auge:
      Ich war gerade auf einer Insel des Chinchipe ..., als die freien Indios kamen... Diese sind die fröhlichsten freien Indios, die ich jemals gesehen habe. Sie haben lebhafte Gesichtszüge, die sehr große Lebhaftigkeit ihres Charakters anzeigen... Welche Lebhaftigkeit, welche Wissbegierde, welches Gedächtnis, welch leidenschaftlicher Drang, die spanische Sprache lernen zu wollen und sich in ihrer eigenen verständlich zu machen!.
    Allerdings befremdete Humboldt gerade bei diesen freien Indios die erstaunliche Begabung zum Nichtstun:
      Die gleichen Leute, bei denen wir einen so großen geistigen Adel, so viel intellektuelle Fähigkeiten sehen, sind die gleichgültigsten und faulsten, was die Arbeit anbetrifft. Sie liegen Tag und Nacht herum, wenn die Jagd oder der Feind sie nicht zum Aufbruch zwingen... Und dieselben Leute, die eines so großen Kraftaufwands fähig sind, bleiben zwei bis drei Monate in der Hängematte liegen, wobei sie Bananen ..., welche sie am Feuer rösten, mit den Zehen umwenden und sie auf die gleiche Weise zum Nunde führen, um nicht die Hände zu gebrauchen und sich aus der Hängematte erheben zu müssen. (nach Otto Krätz, Alexander von Humboldt)
Es lebe Lafargue und das „Recht auf Faulheit“:
      Eine seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder, in denen die kapitalistische Zivilisation herrscht. Diese Sucht, die Einzel- und Massenelend zur Folge hat, quält die traurige Menschheit seit zwei Jahrhunderten. Diese Sucht ist die Liebe zur Arbeit, die rasende, bis zur Erschöpfung der Individuen und ihrer Nachkommenschaft gehende Arbeitssucht. Statt gegen diese geistige Verirrung anzukämpfen, haben die Priester, die Ökonomen und die Moralisten die Arbeit heiliggesprochen.
Und in einer Fußnote:
      Oft sind die europäischen Forscher ganz betroffen von der körperlichen Schönheit und der stolzen Haltung der Angehörigen primitiver Völkerschaften, welche noch nicht von dem 'vergifteten Hauch der Zivilisation', um mit Pöppig zu reden, befleckt sind.
Was für schöne Texte für den Urlaub :-)
dazu passt auch aus der "Deutschen Ideologie" :
      während in der kommunistischen Gesellschaft, wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.(Im Feuerbachkapitel, S.33)

Kehlmanns Vermessenheit

    Der schmale Umfang hat mich schon irritiert: was kann in den paar Seiten zu diesem nicht ungewichtigen Thema schon drinnen sein? Die Lobpreisungen und die Verkaufszahlen irritierten anders rum: vielleicht schreibt er sehr exakt Wort für Wort. Doch sein erster Roman hatte bewiesen, dass er nicht im Universum der Hammetts, Serners, Parkers, Borges zu Hause ist. Der war eher geschwätzig und altklug gewesen. Kein Grund, weiteres von ihm zu lesen. Und nun dieser Bestseller. Die ersten Seiten lesen sich flott, wie gute Gebrauchsliteratur, einfach und zielführend, wenn auch sehr gefällig. Zu gefällig für einen guten Schundler. Nach und nach seine Bemühtheit beim Zettelkasten Auswerten zeigend. Der Einfachheit halber die indirekte Rede nicht verlassend. Ein bißchen Fiktion und Nachgelesenes mischend. Mit dem Beifall heischenden verschmitzen Lächeln des jungen Frechen: Seht, was bin ich keck! Gegen Ende immer fader und belangloser werdend. Ein gutes Thema elendiglich verhunzt habend.
    Irgendwo habe ich von jemanden gelesen, der einem Literaten, der mit einem großen Thema leichtfertig umgeht, alles mögliche Fürchterliche an den Hals wünscht.
    Das tu ich auch, dem Daniel Kehlmann und seiner ärgerlichen Vermessung der Welt.
    Ich glaube nicht, dass er besser wird.

Zitat Dávila

    Die Idee der 'freien Entfaltung der Persönlichkeit' scheint ausgezeichnet, so lange man nicht auf Individuen stößt, deren Persönlichkeit sich frei entfaltet hat.
Nicólas Gómez Dávila

Zensur bzw.

    die missbräuchliche Verwendung dieses Begriffes sollte laut Klaus Nüchtern im Falter von 23/06 mit Bibliothekarsdiensten in Diktaturen gesühnt werden. Allerdings ist ihm auch zuzustimmen, dass die Machenschaften rund um die Heine-Preis- Verleihung-Nichtverleihung-Verzicht eine demokratiepolitische Katastrophe darstellt.
    Halbwegs vernünftige Stellungnahmen dazu scheinen mir zu sein:

Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte

    Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte,
    im nächsten Leben würde ich versuchen, mehr Fehler zu machen.

    Ich würde nicht so perfekt sein wollen,
    ich würde mich mehr Entspannen.

    Ich wäre ein bisschen verrückter, als ich es gewesen bin,
    ich würde viel weniger Dinge so ernst nehmen.
    Ich würde nicht so gesund leben.
    Ich würde mehr riskieren,
    würde mehr reisen,
    Sonnenuntergänge betrachten,
    mehr Bergsteigen,
    mehr in Flüssen schwimmen.

    Ich war einer dieser klugen Menschen,
    die jede Minute ihres Lebens fruchtbar verbrachten;
    freilich hatte ich auch Momente der Freude,
    aber wenn ich noch einmal anfangen könnte,
    würde ich versuchen, nur mehr gute Augenblicke zu haben.

    Falls du es noch nicht weißt,
    aus diesen besteht nämlich das Leben;
    nur aus Augenblicken;
    vergiß nicht den jetzigen.

    Wenn ich noch einmal leben könnte,
    würde ich von Frühlingsbeginn an
    bis in den Spätherbst hinein barfuß gehen.
    Und ich würde mehr mit Kindern spielen,
    wenn ich das Leben noch vor mir hätte.

    Aber sehen Sie … ich bin 85 Jahre alt
    Und weiß, daß ich bald sterben werde
Jorge Luis Borges

Konsequenz

    Als er von Vázquez' Verlobung erfuhr, ging er zum Zahnarzt und ließ sich die Zähne ziehen. Es schien die einzige Lösung zu sein, mit physischem Schmerz seinen letzten emotionalen Fehlschlag vergessen zu machen.
James Woodall: Jorge Luis Borges

Mob is in the Air

    "Wo ich mich zeige, liegt Mobbing in der Luft"
Walter Kempowski