Meine Nachbarn schauen wirklich anders aus!
Und wieder erfahren wir den Angelpunkt zur Erklärung menschlicher Verhaltensweisen. Diesmal ist es, wie Amazon gerade meint, dass es mich interessieren könnte, weil ich "Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform" von Ulrich Bröckling gekauft habe, das Buch: Warum die Reichen reicher werden und Ihr Nachbar so aussieht wie Sie. Neue Erkenntnisse aus der Sozialphysik von Mark Buchanan. Abgesehen davon, dass es interessant wäre, wie Amazons Algorithmus eine Verbindung von dem einen Titel zu dem ganz anderen schafft, lese ich noch vor dem Frühstück was, was ich auch nach dem Frühstück nicht gebraucht hätte, so doof ist es:Wir verstehen die Verhaltensweisen von Gruppen nicht, wenn wir die Entscheidungen der daran beteiligten Menschen isoliert betrachten. Doch eine neue Disziplin entdeckt die physikalischen Gesetze des menschlichen Zusammenlebens: die Sozialphysik. Sie zeigt unter anderem, dass Einzelentscheidungen sich summieren und zu Massenphänomenen werden können. Entwicklungen in größerem Maßstab folgen quasi naturgesetzlichen Mustern. Auch in Ihrer Umgebung.Wir können als Individuen überzeugt davon sein, dass ethnisch gemischte Wohnviertel erstrebenswert sind. Doch schon der Wunsch nach einer minimalen Präsenz von Nachbarn der eigenen Gruppe führt in kurzer Zeit zum fast vollständigen Verlust der Vielfalt. Und deshalb sieht Ihr Nachbar aus wie Sie!Nie und nimmer sahen je meine Nachbarn so aus wie ich - oder ich wie sie. Bzw, da ich nach meinem frühen Auszug aus der elterlichen Wohnung viele Jahre in WGs logierte, sahen wir immer ganz andes aus als die Nachbarn, und das ließen sie uns zumeist auch fühlen. Innerhalb der WGs war die Mischung zumeist auch sehr multi und kulti. Die meiste Sprengkraft hatte eine Zusammensetzung von Ethnien aus Graz, Bregenz, Kapfenberg, Mattersburg, Horn und Wien. Da war die Zusammensetzung mit "einem echten Neger", wie die Nachbarn erstaunt feststellten, kulturphysikalisch eher einfach. Auch sonst, bis heute, kann ich mich nicht erinnern, dass die Nachbarn so aussahen wie ich oder wir. Entweder war ich der einzige, dessen Migrationshintergrund schon zweieinhalb Generationen zurücklag, oder es waren und sind halt Leute aus verschiedenen, wenn auch vorwiegend (unmittelbareren) österreichischen Herkünften, mit denen spätestens nach dem dritten ausgetauschten Satz klar ist, dass es sich nicht weiter lohnt, miteinander zu reden, auch wenn es nicht um den angeblich ungepflegten Garten, die angeblich herumlaufenden Katzen und den angeblich zu laut bellenden Hund, sowie die gerade nicht brennende Türbeleuchtung oder den vergessenen Waschküchenschlüssel geht. Und diese unterschiedlichen Redens-Arten schlagen sich auch im Aussehen nieder, scheints.
Aber vielleicht bin ich so was wie der Referenznachbar des Mark Buchanan, den er sich als optimale physikalische Bezugsgröße wünscht? Wer weiß.