Conny und die neuen Medien


Da gabs in den 70ern diesen Dampfplauderer in der Institutsgruppe. Dann war es lange ruhig. Doch in den 90ern ging es los und in den letzten Jahren hört man ihn aus allen Ecken und Enden auf alles und nichts ununterbrochen antworten, z.B. auf die Interviewfrage, was er von der Verwendung von Wikis in der Philosophie hält:
Solche Versuche hat es auch schon vor der Verbreitung des Computers gegeben. Schreibkollektive waren etwa eine große Errungenschaft der DDR-Wissenschaft. Das vergisst man heute alles. Ich besitze selbst Bücher aus dieser Zeit, in denen keine Namen von Autorinnen und Autoren genannt wurden, sondern nur etwa "Schreibkollektiv des Instituts XY der Universität Jena" oder so. Das ist also keine originäre Idee der neuen Medien, sondern war früher ein gesellschaftspolitisches Konzept - mit wenig Erfolg. Die Frage ist: Warum sollten heute solche Formen kollektiven Arbeitens erfolgreicher sein, nur weil sich die Mediensituation verbessert hat?
Herbert Hrachovec, gegen dessen Philowikis sich das Gebrabbel richtet, hat sich dankenswerterweise die Mühe gemacht, auf diesen Holler elegant zu antworten .

Doch die Emanation der Flasche des Weltgeists wird wohl weiter reiten im dies und im das.

Devotimierung

Beim Schreiben über die Gefahr der Demotivierung der Bediensteten durch die Maßnahmen der Abteilungsleitung "gelang" mir dieser hübsche Vertipper: Devotimierung. Da steckt devot drinnen, weiters ein votieren und schließlich blinkt auch ein optimieren durch.

Jetzt braucht es nur noch eine passgenaue Anwendung und schon haben wir ein neues Wort :-)

Rostock: Wer war schuld?


Bei Indymedia gefunden.
Rostock: Wer war schuld? Montag, 4. Juni

In der Linken, den Medien und bei Indymedia bestimmt die Schuldfrage das Bild: Wer hat denn nun angefangen in Rostock? Die gewaltbereiten Polizisten, die gewaltbereiten DemonstrantInnen, die Medien im Vorfeld mit ihrer Hetze gegen „Chaoten“, oder waren es Schäuble und der staatliche Gewaltapparat mit ihrem rechtskonservativem Kettengerassel, oder waren es die Nazis oder gar Agent Provocateure, wie manch einer glaubt?Wahrscheinlich stimmt alles ein bisschen und dennoch ist nichts davon richtig, weil schon die Frage falsch gestellt ist. Es ist natürlich Unsinn, dass vereinzelte “Agent Provocateur”-Aktionen DER Auslöser der Ausschreitungen gewesen sein sollen. Dennoch ist es richtig, dass Agent Provocateure sicherlich mit von der Partie waren und zur Eskalation beigetragen haben. Ebenso zu vermuten ist, dass sich Nazis untergemischt haben. Das ist plausibel, da zum einen deren Demo in Schwerin nicht genehmigt wurde und sie sich daher dezentral formiert haben, zum anderen wurde in Nazi-Foren schon im Vorfeld zu G8 angekündigt, dass man sich als “Linke verkleidet” unter die Demo mischen wolle. Natürlich gab es nicht nur Nazis und Agent Provocateure unter den Vermummten, es waren auch sogenannte “Antikids” unter ihnen, die ihre Wut offensichtlich auf diese Weise kanalisieren müssen und wollen, und aber auch DemonstrantInnen, die zwar schwarz gekleidet und vermummt waren, aber sich - wenn überhaupt - dann erst zu Aktion haben hinreissen lassen, nachdem sie sahen, wie die ebenso gewaltbereiten Polizisten wahl- und ziellos um sich und in die Menge prügelten und CS-Gas sprühten. Wahrlich ein Anblick, der größte Selbstbeherrschung für innere Gelassenheit abverlangt. Provoziert hat nicht die pure Präsenz der Polizeitrupps, sondern die wie wild losgelassenen gewaltbereiten Polizisten, als sie schließlich in Aktion traten – wohl nicht zuletzt auch, um einzelne Angriffe auf Ihresgleichen zu „rächen“, ganz im Sinne des Korpsgeistes. Zur Gewalt bereit war jedenfalls mehr als nur eine Seite. Die Mainstream-Medien machen nun aus jenen DemonstrantInnen, von denen Stein- und Flaschenwürfe ausgingen und anderen hinzugekommenen Anwendern physischer Gewalt, deren Herkunft unaufklärbar ist, eine homogene Masse von “die Autonomen”, was ebenso falsch ist, wie wenn die Linke da nun ein “wir” hinein projeziert. Die Ausschreitungen sind von verschiedenen Leuten provoziert worden und aus verschiedenen Gründen und es ist ziemlich sicher, dass es eine Aufklärung darüber “wer und wie es wirklich war” und “wer wirklich angefangen hat” vor diesem Hintergrund sowieso nicht geben wird und selbst wenn das Puzzle mit Hilfe von Indymedia und anderen Medien bis auf das letzte Steinchen gelegt werden könnte, würde es nichts helfen: Die Definitionsgewalt über die „Wahrheit“ liegt wie immer bei denen, die die mit Wirkmacht ausgestatteten Sprecherpositionen inne haben: Die Pressestellen der Polizei, der Staatsanwaltschaft, des Innenministeriums, die Mainstream-Medien, die die Pressemitteilungen ventilieren, die ModeratorInnen von Talkshows und anderen Vorabendpalavern, die ganz auf Linie sind, weils sie es nicht besser wissen und wissen wollen. Die Story von Rostock ist längst geschrieben, ehe das letzte Puzzlestein gefunden ist. Ohne wenn und aber, hier die Bösen dort die Guten, wir haben es schon immer gesagt und fertig ist der Diskurs. Manufacturing Consens. Bei aller Kritik an den Steine- und sonstwas-Werfern, die völlig berechtigt ist, soweit ungeschützte Menschen getroffen werden, sollte also Vorsicht beim Urteil darüber walten, wem die Schuld dafür in die Schuhe geschoben wird – „DemonstrantInnen oder Polizei“?. Falsche Frage. Grade unter ersteren gibt es keine abgestimmte, gemeinsam und kollektiv handelnde Gruppe von überwältigenden „4000 Autonomen“ die militant vorgehen, es gibt alle, alles und vor allem Widersprüchliches und Uneinigkeit. Längst kein Korpsgeist unter den Demonstrierenden und das ist auch gut so. Nun gab es im Vorfeld zwar einen jetzt achso vorwurfsvoll zitierten Konsens darüber (wieso wurde der nicht eingehalten? Wer hat ihn zuerst gebrochen?), eine Demonstration ohne Ausschreitungen durchzuführen. Ein Konsens, der sogar gemeinsam mit der Polizei zu der geteilten Erwartung geführt haben soll, dass die Sache am 2. Juni ein riesiges, großes buntes Fest werden sollte (was gabs da eigentlich zu feiern?). Niemand hatte angeblich was anderes als ein friedliches buntes Fest erwartet (und genau deshalb eine martialische Aufrüstung polizeilicher Gewalt in die Rostocker Seitenstrassen bestellt, mal so für alle Fälle????) und dabei ganz ehrlich tatsächlich völlig vergessen, dass bei einem solch aufgeladenen und im Vorfeld schon erhitzten gesellschaftlichen Knotenpunkt ein solcher Konsens immer schon fragil ist. Honnit soit qui mal y pense. Wie auch immer: Wenn dieser Konsens dann gebrochen wird, dann gehören dazu mehr Seiten als nur eine. Die eine Gewalt, soviel konnten alle sehen, ging von einer zerstreuten Minderheit aus, gemessen an der Anzahl der DemonstrantInnen, die andere Gewalt zählte Tausende und hatte organisierte Befehlsgewalt dahinter zu stehen, die per Funkspruch agierte. Befehl nach vorne, losjagen, schlagen, sprühen, mitnehmen, Befehl nach hinten, zurückziehen, warten und nochmal von vorne das Spiel. Die andere Seite, soweit sie auch wirklich zu den DemonstrantInnen gehört, agiert im Chaos, unkoordiniert aus der Menge, in Seitenstrassen rein, aus Seitenstrassen raus, total scheisse aus hintersten Reihen DemonstrantInnen gefährdend (mit Wurfgeschossen), völlig bescheuert im Alleingang oder aber aus Reflex ohne jede Überlegung halt irgendwie was grad so kommt unternehmen, Reaktion Gegenreaktion - bis in die Gewahrsahmnahme rein und coole Bilder für Spiegel-Online und Schäuble, der jetzt erst recht seinen Apparat zusammen zieht und auch ziehen darf (es ist dennoch nicht die Schuld der „Autonomen“, dass sie sich instrumentalisieren lassen für mehr Law and Order, es sind schon jene, die instrumentalisieren, die dies tun und nutzen).
Jedenfalls: Aus all diesen Gründen kann sich strenggenommen keine Linke mit der Militanz „der Autonomen“ (wer ist das genau?) identifzieren oder dahinter stehen und eben dann auch genauso wenig davon distanzieren. Fragt die halt, die es vermeintlich getan haben, fragt ob, was und warum sie es getan haben - wenn ihr es wissen wollt. Kritisiert genau dieses dann (oder eben auch nicht), streitet mit denen, die das (was?) gut finden, streitet mit anderen, die das (was?) scheisse finden und seht ab von ungesicherten, pauschalen Zuschreibungen, die nur dazu beitragen, ein Bild zu zeichnen, dass den Medien willkommen ist, weil es ihre schlichten Weltbilder bedienen hilft. Streitet untereinander und nicht vor dem, tut euch schon gar nicht mit dem Mainstream gemein (die wollen was anderes), der will euch verkaufen und euch gegen euch selbst wenden. Spekuliert ruhig rum und lasst Spekulationen korrigieren, solange, bis irgendwas klar ist.
Nochmal jedenfalls: Die Schuldfrage ist nun auch deshalb falsch gestellt, weil sie latent davon ausgeht, dass sich zwei Gruppen darauf geeinigt haben, sich nicht zu prügeln und jetzt haben sich die einen (die Bösen) nicht daran gehalten, weshalb die anderen (die Guten) leider zu schlagen mussten (wahlweise „Demonstranten“ oder „Polizisten“ einsetzbar). Nun – auch wenn es eine Einigung gegeben hat im Vorfeld, sie basiert auf höchst ungleichen Kräften. Es ist ja klar, dass die Polizei allen anderen Menschen zwei Dinge voraus hat: Elaboriertere Mittel zur Ausübung von physischer Gewalt und – noch viel wesentlicher – das Monopol zur Ausübung von Gewalt. Polizisten dürfen prügeln und wenn sie es nicht dürfen, können sie es trotzdem, weil sie in der uniformierten Verkleidung nicht individuell identifizierbar sind und weil sie einen Institutionenapparat (Kollegium, Justiz) um sich herum haben, der sie hinreichend vor rechtlichen Konsequenzen zu schützen vermag. Das soll jetzt nicht heißen, dass Polizisten mit Gehwegplatten beworfen werden sollen. Es sollen aber vor diesem Hintergrund zwei Fragen gestellt werden, die nie ins Fernsehen kommen: die bereits erwähnte „warum wirft jemand Steine gegen eine Gewalt, die sowieso am längeren Hebel sitzt?“ (was geht eigentlich in diesen Menschen so vor? Ernsthaft.), die andere: Wieso läßt die Polizei nicht ein einziges Mal zu, dass die DemonstrantInnen selbst untereinander aushandeln und klären, wie mit physischer Gewalt aus den eigenen Reihen (im wörtlichen Sinne gemeint) umzugehen ist. Selbst bei der von der Pressestelle der Polizei genannten reichlich übertriebenen Zahl von bis zu 4000 „Gewalttätern“ und der reichlich untertriebenen Zahl von 25.000 DemonstrantInnen (absurdes Verhältnis, so schwarz war die Demo nie) insgesamt, wäre es durchaus zumutbar, dass die Letzteren einen Umgang mit Ersteren ganz selbstständig finden. Dann geht vielleicht schon auch mal ein Auto kaputt oder die ein oder andere Fensterscheibe zu Bruch, aber es käme mit Sicherheit zu keiner Eskalation in diesem Ausmass, das – täräää – und jetzt kann man das ja auch mal relativieren - gemessen an der Anzahl der DemonstrantInnen im übrigen gar nicht soooo wild war. Kreuzberg hat schon anderes erlebt. Der Sachschaden war nicht mal eine Million, die Glasereien und Strassenbau-Unternehmen freuts, Knochenbrüche heilen. Übrigens: Den gewaltmäßig unbeteiligten und deeskalierenden DemonstrantInnen, die bei den ziellosen Polizeiaktionen regelmäßig als Kollateralschäden ihr Fett abkriegen weint kein einziger eine Träne in Funk und Fernsehen hinterher und auch von der Polizei hat man noch keine Entschuldigung vernommen. Die Medien jedenfalls mit ihrer autistischen Focussierung auf die Gewaltbilder reduzieren die Demonstration des größeren Spektakels wegen auf eine einzige Gewaltorgie, der Rest war Karneval. Wenn man so will wäre ohne Krawalle und Kavala nur die bunte Party in den Nachrichten gelandet. Und jetzt das Wetter.

Der Fremde ist fremd nur

in der Fremde. Auch im Eisenbahnwaggon unter der Brücke mit Fremden. Zum 125.: Für uns Fischer nicht!

Über Gewalt in Rostock und Umgebung

 
Die durch die TeilnehmerInnen des so genannten "Schwarzen Blocks" verübte Gewalt gegen Sachen und gegen Menschen (Polizisten) ist durch nichts zu entschuldigen. Wozu auch?

Ob es diesmal oder bei einem der nächsten G8-Gipfel oder bei einem anderen Treffen des politischen Arms des international organisierten Verbrechens gelingt, die gewaltbereiten KundgebungsteilnehmerInnen von den anderen zu isolieren, ist unerheblich. Solange durch die politischen Handlanger legitimierte globale Gewalt in ihren vielen Erscheinungsformen herrscht, wird es Gewalt dagegen geben, unabhängig ob man dies aus persönlichen, ethischen oder politischen Gründen ablehnt. Es wird die Gegengewalt dort geben, wo sie von den Herrschenden am brutalsten ausgeübt wird, in den Ländern der ausgelagerten Produktionen und es wird die Gewalt als Begleiterscheinung aller Bewegungen in den Metropolen gegen die Herrschaft des Politischen Arms geben. Das mag politischen Taktiken und Politmarketing in die Quere kommen. O.k., ist aber kein Grund zum Jammern, dass die schöne friedliche Demonstration dadurch ins Zwielicht gerät.

Solange es den Vielen nicht gelingt, dass solche Gipfel gar nicht erst zustande kommen, weil sich diese Gacht-Figuren nirgendwo sicher bewegen können, wird es militante Aktionen geben, die auf den ersten Blick Gewalt zum Selbstzweck haben. Doch bekanntlich hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht und Menschen wo Menschen sind. Oder so ähnlich.


Überwachen und Strafen für Sakorzy


Dank Adresscomptoir über Foucault Blog fand ich im New Statesman den Auszug aus einem Gespräch des Philosophen Michel Onfrey mit dem neuen französischen Staatspräsidenten Sarkozy, in welcher jener diesem einige Bücher schenkte, unter anderem Foucaults "Überwachen und Strafen":
O: As our meeting comes to an end, I would like to give you some useful gifts before we leave. (He gives Sarkozy four parcels.)

S (amused): Do you really think that my situation is that bad?

(Sarkozy unwraps the books, while Onfray comments on his choice.)

O: I give you Totem and Taboo because Freud talks about the murder of the father and the exercise of power in the herd. Then, 'Antéchrist by Nietzsche because of his radical critique of Christian morals - for you who sometimes goes to church with your family. I also recommend Michel Foucault to you, particularly in your role as interior minister, where you are fond of disciplinarian solutions . . . In Surveiller et punir, Foucault analyses the jail system and its relationship with the liberal norm. And finally Proudhon, because he shows that, if one is not a capitalist, it doesn't necessarily mean one is a communist.

S: Have I ever tried to say such a thing?

O (looking at his notes): Yes, in your book Témoignage, page 237: "Communism, the other word for anti-liberalism . . . "

S: Are you a communist?

O: That's the point: I am not a communist nor a capitalist. I believe in libertarian options because they allow an interesting management of the capital and are based on co-operation, reciprocity, contract, federation. Today, few people read or understand Proudhon.

Medienentlehnung online

 

In Deutschland hat jetzt ein Bibliothekenverbund begonnen, online Medien zu entleihen, wie die "Schwäbische Zeitung online" berichtet:
Zum Ausleihen aus den öffentlichen Bibliotheken soll sich der Nutzer künftig nicht mehr an Öffnungszeiten richten müssen. Das Online-Angebot, das zunächst jeweils bis zu 10 000 digitale Titel, darunter Hörbücher, E-Books, Videos und Musik, umfasst, soll über das Internet rund um die Uhr verfügbar sein. Wie in der analogen Bibliothek dauert die Ausleihfrist rund fünf Tage, danach werden die Medien unbrauchbar. Die Medien sind mit Microsofts Kompressionsverfahren WMA (Windows Media Audio) kodiert und lassen sich an Windows-PCs sowie Playern mit Windows Media Player-Software abspielen.
Der nächste Schritt der digitalen Revolution in den Büchereien hat begonnen - in Deutschland. In Wien wurde gerade der Posten für den Webauftritt der Büchereien gestrichen.

... sondern die Welt

 
1. Barbara Riener arbeitet auch als Nationalratsabgeordnete 25 Wochenstunden in ihrem alten Job (?) als Personalvertreterin, berichtet der Kurier vom 20.5.07:
"Als Personalvertreterin berate ich Menschen in ihrer Karriereplanung, bei Problemen mit Kollegen und in privaten Fragen."
Fehlt da nicht noch was? Vertretung der Belegschaft gegenüber dem Dienstgeber etwa?

2. PolizistInnen knallten einen Ruhestörer mit den Worten: "Du g'schissener Wichser, schleich de ham!" gegen ein Auto und gegen einen Strommasten, was den Ruhestörer zu Ohnmacht, Schädelbasisbruch und Gehirnblutung verhalf. Die PolizistInnen wurden freigesprochen und verlangen vom ruhig gestellten Ruhestörer Schmerzensgeld für eine Meniskusläsion des Einen und für eine Prellung am Handgelenk der Anderen insgesamt 13.000 Euro, berichtet der Kurier in der selben Ausgabe.

3. Nicht ich bin verrückt, sagt Helge Schneider, sondern die Welt.

Selbstverbuchung

 

Unter der Theke fehlen 5 Steckdosen, bei den Opacs sind die neu angebrachten Steckdosen tot, beim ersten Selbstverbucher fehlen die Ausgänge fürs Datenkabel. Der zuständige Werkmeister ruft nicht zurück. Der für die Umstellung zuständige Büchereibeauftragte fotografiert wie wild und ist wütend, die Umstellung auf das neue Zeitalter der Selbstverbuchung in der Bücherei hat begonnen.

Rebellion

Ein stellenweise wunderbares Buch, das ich jetzt in einem durch, leider zu oberflächlich, gelesen habe: "Das Jahrhundert", die Vorlesungen von Alain Badiou. Eine Stelle zu einem Text von André Breton, die den Atem raubt:
Dann kommt der sehr schöne Passus, der behauptet, dass die Rebellion, die sich nicht an ihren Ergebnissen messen lassen muss, dem Leben vollkommen angemessen ist. Die Rebellion ist vitaler Funke (also die reine Gegenwart), "völlig unabhängig von den etwaigen Möglichkeiten, den Sachverhalt, der sie ausgelöst hat, zu verändern". Die Rebellion ist eine subjektive Figur. Sie ist nicht Motor einer Veränderung der Situation, sie ist die Wette, dass man das Vorzeichen des Exzesses verändern kann.

An dieser Stelle betritt der Vertreter der Resignation, den Breton den elenden Priester nennt, die Bühne. Seine List geht nicht dahin, die Rebellion direkt schlecht zu machen. Vielmehr bedient sich der "Priester" jener tückischen Stimme, die heute überall murmelt oder zetert, der Stimme der Politiker, der Essayisten und der Journalisten. Diese Stimme verlangt Tag für Tag, man solle die Rebellion an ihren Ergebnissen messen und sie allein unter diesem Kriterium mit der Resignation vergleichen. Mit bescheidenem Triumph beweist sie dann, dass die Rebellion, bei objektiv vergleichbaren oder sogar geringeren Ergebnissen, ein Äußerstes an Leben, an Schmerzen, an Dramen kostet. Diese omnipräsente, "realistische" Stimme ist es, der Breton großartig entgegnet, dass sie bloß der "unverschämten Lüge" Ausdruck verleiht, denn die Rebellion unterhält mit der Pragmatik der Ergebnisse keine Beziehungen.

Untertanenflucht


Wenn es die Duodezfürsten zu bunt treiben, kann es passieren, dass ihnen allmählich die Untertanen ausgehen, weil diese nach Möglichkeit das Weite suchen. So auch in unserem kleinen Fürstentumchen. Zwar wächst der Hofstaat dort unaufhörlich, so dass die Abhandengekommenen nicht so recht auffallen, doch es gibt sie. Einige mittlere Hofschranzen sind eines Tages ohne viel Aufsehen von der Bildfläche verschwunden: sie haben sich bei einer anderen Herrschaft verdingt. Kürzlich hat auch die für die blühende Jugend des Fürstentums Beauftragte ihre Koffer gepackt und hat das Weite gesucht. Und nun ist sogar der Leiter der fürstlichen Hofbibliothek abhanden gekommen.

Es scheint, auch kleine Fürsten können einsam werden.

Zuckerlbua ist 60


nicht viel mag ich von ihm, aber einiges doch. Und einiges ist tatsächlich knapp genial, z.B.:
Gemma schaun, gemma schaun,

ob der Kaiser wirklich tot is'

ob sei Hemmat bluatich rot is'

oda ob a tachiniert?

Dafür verzeihe ich ihm fast alles, dem Heller Franz.

Erlebniszone ÖGB-Kongress


"... am ersten Tag des sogenannten Reformkongresses tagten bis 17 Uhr die Fraktionen. So auch die "Unabhängigen GewerkschafterInnen", zu denen die KIV gehört.
Wir diskutierten den bisherigen Gang der ÖGB-Reform, die TeilnehmerInnen der verschiedenen Arbeitsgruppen und Konferenzen brachten mehr oder weniger übereinstimmend die Einschätzung zum Ausdruck, dass es zwar Diskussionsmöglichkeiten für FunktionärInnen gegeben hat, in den Arbeitsgruppen zum Teil auch sehr gut gearbeitet wurde, aber bis auf die sogenannten Regionalkonferenzen, die vor allem in Wien nicht besonders gut besucht waren und auch nicht besonders gelaufen sind, einfache Mitglieder außen vor blieben. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen flossen in die Beratungen höchster Gremien ein und wurden dort durch das Feuer einander spinnefeinder Gewerkschaftsvorsitzender auf ein für alle Spitzenfunktionäre und Gewerkschaften zuträgliches Maß zusammengeschmolzen. Übrig geblieben sind etliche Absichtserklärungen, die vom Ansatz her nicht so schlecht wären, doch an eine tatsächliche Umsetzung und Weiterentwicklung glaubt kaum jemand der mittleren und unteren FunktionärInnen.
Der überaus kleinste gemeinsame Nenner spiegelt sich auch in den Statuten wieder, nicht einmal die Möglichkeit, die ansonsten jeder andere Verein hat, dass 10 % der Mitglieder einen Bundeskongress erzwingen könnten, oder dass einfache Mitglieder gar Anträge an den Bundeskongress stellen könnten, fand Eingang in die Statuten. Auch die Unvereinbarkeit von gewerkschaftlichen Spitzenpositionen mit politischem Mandat wurde den Fraktionen zur Entscheidung überlassen.
Bei der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten wird es hier bald zur Nagelprobe kommen: R. Hundstorfer verzichtet jetzt endlich auf sein Gemeinderatsmandat. Der nächste Nachrücker ist Christian Meidlinger, der neue Vorsitzende der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten ... Aus Sicht der KIV eine klare Unvereinbarkeit. Wir werden sehen, ob dies die FSG auch so sieht.
Dass auf die Erpressung der FCG eingegangen wurde und die Teilrechtsfähigkeit der Gewerkschaften ins Statut aufgenommen wird, läßt die Befürchtung aufkommen, dass dies der erste Schritt zu einer Zerschlagung eines einheitlichen ÖGBs in einander offen befehdende Einzelgewerkschaften sein könnte. Die Ereignisse nach der Nichtwahl des FCG-Vorsitzenden haben diese Befürchtung eher bestärkt.

Die UG hatte 2 stimmberechtigte Delegierte. Es wurde beschlossen, dass sie den Statuten nicht zustimmen, weil sie als ungeeignet angesehen wurden, die hilfreiche Struktur für eine tatsächliche Demokratisierung des ÖGB zu bieten.
Weiters wurden die politischen Anträge diskutiert, die ein Sammelsurium an Forderungen, zum Teil einander widersprechend darstellen, schlecht redigiert und vom politischen Gehalt die Hoffnung versprühend, dass es jetzt vielleicht wieder möglich werde, dass wieder ein keynsianischer Wirtschaftskurs betrieben werde, mit Vollbeschäftigung und Wirtschaftswachstum. Da in dem Vielen auch einiges Vernünftige steckte, wurde mit Bauchweh aber doch, den meisten Anträgen von den 2 UG-Delegierten zugestimmt.
Weiters wurden die vorliegenden Berichte des ÖGB 2003-2006 als Schönfärberei und völlig ungenügend kritisiert (siehe beiliegenden Diskussionsbeitrag).
Da die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (Fritz Neugebauer) statutenwidrig sich seit Jahren weigert, die im Öffentlichen Dienst agierenden Unabhängigen GewerkschafterInnen (Schulen, Unis, Rechenzentrum, Ministerien u.a.) als Fraktion anzuerkennen und damit einen Sitz im Bundesvorstand zu geben, haben wir beschlossen, am Schluss jedes Redebeitrags die Fraktionsanerkennung zu fordern.

Die offizielle Eröffnung des Kongresses erfolgte um 17 Uhr. Nach der Eröffnungsrede durch R. Hundstorfer richtete die Vorsitzende der schwedischen Gewerkschaft Lundby-Wedin Grußworte an die sozialdemokratischen GewerkschafterInnen von Österreich - es dürfte ihr nicht mitgeteilt worden sein, dass sie nicht auf einer Fraktionskonferenz sprach. Nach Reden von Bundespräsident und Bundeskanzler (der von GLB und UG mit Pfiffen empfangen wurde) wurden die Delegierten in Richtung Rathaus entlassen, wo der Bürgermeister zu Tische lud. Das habe ich im Fernsehen gesehen.

Der Dienstag war den Diskussionen der Berichte 2003-06, der ÖGB-Reform und des Statuts gewidmet. UG und GLB stellten viele Redebeiträge, von der FCG gab es nur wenige und von der FSG sprachen außer ein paar Mitgliedern der Jugendorganisationen fast nur die Spitzengewerkschafter. Im Unterschied zu früher wurden wir nicht verbal einbetoniert, sondern im eigenen Gerede stehen gelassen - von der Beton- zur Schlammgesellschaft könnte man in Anlehnung an Foucault sagen.
Am Mittwoch wurden das Politische Grundsatzprogramm und die Anträge der Gewerkschaften nach einem ähnlichen Schema diskutiert.
Die abschließende Wahl brachte die in den Medien berichtete Überraschung: Der Vorsitzende der FCG und die Frauenvorsitzende der FSG erhielten zu wenig Stimmen für ein Mandat im Bundesvorstand. Und schon ist die Diskussion um die Bildung eines Zweigvereins durch die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst ausgebrochen.


Das Austria-Center, wo die Konferenz stattgefunden hat, versprühte wieder seinen sanften Charme der 70er, die Augen tränten durch die trockene und elektrisch geladene Luft, der Hals wurde immer rauer, es kam da und dort zu Hustenanfällen, viele klagten über Kopfweh und Nackenverspannungen. Im Unterschied zu früher gab es - ÖGB-Sparkurs - weder Mineralwasser noch Mittagessen, was ja an sich o.k. gewesen wäre, doch die 2 Buffets waren heillos belagert. Die Vorbereitung des Kongresses und zum Teil der Ablauf verliefen vielfach chaotisch, die Unterlagen und Anräge wurden oft erst in letzter Minute übermittelt. Aufbruchstimmungen sehen anders aus.

Eine kleine Chance besteht, wenn möglichst viele die wenigen Einflussmöglichkeiten, die es künftig geben wird, auch nützen, dass sich die Reform langsam in Gang setzt. Denn der wichtigste Satz im Reformpapier ist:

Die Reform ist mit dem 16. Bundeskongress nicht zu Ende, sondern beginnt erst."

ÖGB-Kongress - vom donnernden Leben

Redebeitrag beim ÖGB-Kongress zum Bericht 2003-2006.
Beim Lesen der Berichte ist mir ein Lied von Wolf Biermann eingefallen: „Vom donnernden Leben“. Nicht weil die Berichte so von Donner erfüllt waren, sondern wegen der Zeile:
„Das kann doch nicht alles gewesen sein!“

Und auch ich denke mir, das kann doch nicht alles gewesen sein, was in den Berichten steht, da war doch noch was.
So findet sich im Bericht „Organisation“ schön aufgelistet eine Unmenge von Aktivitäten, Kampagnen, was sicher alles wichtig und notwendig war, nur was fehlt, ist eine Analyse der Wirkungen, der Erfolge und der Misserfolge dieser Aktionen.
Da wird über eine Betriebsratskampagne berichtet, u.a. mit einer Betriebsratsversion des Spiels DKT, „Das kaufmännische Talent“, mit dem gehofft wird, dass in den nächsten Jahren tausende Menschen spielerisch auf das Thema Betriebsrat aufmerksam gemacht werden, aber von der konkreten Situation in den Betrieben, vor welchen Problemen die BetriebsrätInnen in den Betrieben stehen, welche Erfolge erzielt wurden, welche Niederlagen, wie die Interaktion zwischen Belegschaften und ihren Vertretungen funktioniert, wie der Transport der Forderungen der Basis und das Feedback nach dem Weg durch die Gremien und den Verhandlungen funktioniert, was ja oft im gegenseitigen Frust endet – von diesen Situationen, die wir ja alle kennen und erleben, davon ist nichts zu finden.
Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, da ja wir hier in diesem Saal wohl das umfassendste, genaueste Wissen über so ziemlich alle österreichischen Betriebsstätten und über die Situation der dort Arbeitenden haben, ein gemeinsames Wissen und Erfahrung – doch im Bericht spiegelt sich nichts davon.

Im Bericht „Grundsatz“ erinnert die Darstellung im Kapitel Volkswirtschaft mit der linearen Verknüpfung von Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung in seiner Eindimensionalität an die Konzeptionen der 50er und 60er – mit dem Unterschied, dass damals von den Gewerkschaften sehr vehement der Anteil der Arbeitenden an den Produktivitätssteigerungen eingefordert wurde, heute dagegen diese Produktivitätssteigerung als Ursache der steigenden Arbeitslosigkeit beklagt wird und als einzige konzeptionelle Aussage dazu das „Weißbuch des Instituts für Wirtschaftsforschung“ zitiert wird, welches die Möglichkeit einer Vollbeschäftigung wenigstens „andeutet“...
Da ist in den Berichten keine Spur von der steigenden Bedeutung immaterieller Produktion sowohl in neuen als auch in den klassischen Arbeitsfeldern, was mit einer immer totaleren Subsumtion des Menschen, des ganzen Menschen unter den Verwertungsprozess des Kapitals einhergeht. Und da ist nichts zu lesen davon, dass prekäre Arbeitssituationen und atypische Beschäftigungsweisen immer weniger sogenannte Randprobleme sind, sondern in rasender Geschwindigkeit zum wesentlichen Moment der sogenannten normalen Arbeit werden.

Als dritten Punkt ganz schnell, weil die Zeit schon abgelaufen ist, möchte ich zum Bericht der Zentralen Kontrollkommission Stellung nehmen, in dem die Vorsitzende schreibt, dass sie keine Möglichkeit hatte und gehabt hätte, Hinweise auf die bekannten Transaktionen in der Bawag-Affäre zu erkennen.
Da wäre es vielleicht doch hilfreich gewesen, wenn auch erwähnt worden wäre, dass diese selbe Vorsitzende der Kontrollkommission auch Aufsichtsratsvorsitzende der "Anteilsverwaltung Bawag" gewesen ist, jener Gesellschaft, über die diese Transaktionen, die dem ÖGB den finanziellen Ruin gebracht haben, gelaufen sind und vor wenigen Monaten noch gesagt hat: "Ein derart umfassender Kontrollanspruch, wie er gut gemeint in den Statuten steht, ist einfach nicht machbar.“
Jedenfalls wirft der Bericht der Zentralen Kontrollkommission mehr Fragen auf als er beantwortet. Hauptsache, es sind alleinige Schuldige gefunden – Weninger und Verzetnitsch.

Zu einem dieser Schuldigen möchte ich ganz zum Schluss noch sagen, das ist mir wichtig, und ich glaube, dass dies auch Rudi Hundstorfer bestätigen wird, dass Günter Weninger nicht nur von mir, der ich ihn als zentralen Referenten in der GdG kennen gelernt habe und später als Vorsitzenden, sondern von allen, die ihn kennen, als bescheidener, ruhiger, sachlicher und ehrlicher Mensch wahrgenommen wurde und niemandem es eingefallen wäre, ihm eine milliardenschwere Hintergehung jenes Vereins zuzutrauen, für den er ein ganzes Leben gearbeitet hat.
Wurde er plötzlich vom Bösen ergriffen oder hängt das vielleicht auch mit unserem Verein zusammen, mit der Struktur, mit der Kultur des ÖGB?
Könnte es sein, dass Positionen, die der ÖGB vergibt, zu Menschenfresserfunktionen werden, dass sie Menschen bis zur Unkenntlichkeit verändern?
Ich glaube, darüber sollten wir uns alle Gedanken machen

Im übrigen bin ich der Meinung, dass sowohl die FCG als auch die FSG der „Gewerkschaft Öffentlicher Dienst“ sich dazu bequemen sollten, endlich die Unabhängigen GewerkschafterInnen der GÖD als Fraktion anzuerkennen.

Kapuscinsky

Wieder einer von den Großen weg.
Ich habe diese wunderbaren Zeilen schon mal hier zitiert. Sie können gar nicht oft genug gelesen werden.

Im Augenblick der Nominierung sah unser Herr den gebeugten Kopf desjenigen vor sich, den er zu hohen Würden berief. Aber selbst der weitreichende Blick unseres Herrn konnte nicht erkennen, was dann mit diesem Kopf geschehen würde. Der Kopf, der sich im Audienzsaal locker auf dem Hals bewegt hatte, veränderte schon beim Passieren der Tür seine Haltung, er hielt sich hoch und steif und nahm eine kraftvolle und entschlossene Gestalt an. Ja, mein lieber Herr, die Macht der kaiserlichen Ernennung war schon erstaunlich! Denn ein ganz gewöhnlicher Kopf, der sich vorher natürlich und frei bewegt hatte, jederzeit bereit, sich zu drehen und zu wenden, zu nicken und zu neigen, unterlag jetzt, gesalbt mit der kaiserlichen Ernennung, einer verblüffenden Beschränkung: von nun an bewegte er sich nur mehr in zwei Richtungen — zum Boden hinunter, in Anwesenheit des ehrwürdigen Herrn, und nach oben, in Anwesenheit der übrigen Menschen. Einmal auf dieses vertikale Geleise gesetzt, war der Kopf nicht mehr beliebig beweglich, und wenn jemand von hinten herantreten und plötzlich rufen würde: »Hallo, mein Herr!« — könnte dieser sich nicht einfach nach dem Rufer umdrehen, sondern müßte die würdige Haltung bewahren und den Kopf mitsamt dem Körper in Richtung der Stimme wenden.
Bei meiner Arbeit als Beamter des Protokolls im Audienzsaal fiel mir überhaupt auf, daß die Ernennung eine grundlegende physische Veränderung in den Menschen hervorrief. Das faszinierte mich, und ich begann, diesen Vorgang genau zu studieren. Vor allem die Figur des Menschen verändert sich. Vorher schlank und biegsam, nehmen die Umrisse jetzt immer deutlicher eine quadratische Gestalt an. Ein massives, solides Quadrat —- Symbol der Würde und des Gewichtes der Macht. Schon die Silhouette läßt erkennen, daß wir nicht irgend jemanden vor uns haben, sondern einen Ausbund von Würde und Verantwortung. Dieser Veränderung der Figur entspricht eine allgemeine Verlangsamung der Bewegungen. Ein Mann, der von unserem ehrwürdigen Herrn ausgezeichnet wurde, wird nicht springen, laufen, hüpfen oder herumtollen. 0 nein, sein Schritt ist gemessen, er setzt den Fuß fest auf den Boden, eine leichte Neigung des Körpers nach vorn signalisiert Bereitschaft, eventuell auftauchenden Hindernissen die Stirn zu bieten. Die Bewegung der Hände ist bedächtig, frei von jeder unkontrollierten und nervösen Gestik. Auch die Gesichtszüge sind strenger und irgendwie gefroren, ernst und verschlossen, aber immer noch fähig, plötzlich Zustimmung und Optimismus anzuzeigen; aber insgesamt wird das Gesicht so, daß wir keinen psychologischen Kontakt mehr mit ihm herstellen können. Man kann sich in seiner Gegenwart nicht mehr entspannen oder aufatmen. Auch der Blick verändert sich. Länge und Auffall-winkel werden anders. Der Blick verlängert sich auf einen Punkt hin, der außerhalb unseres Gesichtsfeldes liegt. Wenn wir daher mit einem Ernannten sprechen, können wir von ihm auf Grund der allgemein bekannten Gesetze der Optik gar nicht gesehen werden, weil sich sein Blickpunkt weit hinter uns befindet. Er kann uns nicht sehen, weil der Einfallswinkel seines Blickes sehr stumpf ist — nach dem sonderbaren Gesetz des Periskops schaut selbst noch der kleinste Ernannte weit über unseren Kopf hinweg in eine unerreichbare Ferne oder auf einen bemerkenswerten Gedanken. Wir haben jedenfalls das Gefühl, daß seine Gedanken vielleicht nicht unbedingt profunder sind als unsere, aber jedenfalls wichtiger und verantwortungsvoller; es erscheint uns daher sinnlos und kleinlich, ihm unsere eigenen Gedanken mitteilen zu wollen, und wir versinken in Schweigen. Aber auch der Günstling des Kaisers verspürt keine Lust zu reden, denn mit der Ernennung verändert sich auch die Art zu sprechen. Volle und klare Sätze machen einem einsilbigen Brummen, Knurren, Räus-pern, bedeutungsvollen Pausen, verschwommenen Worten und überhaupt einem Gehabe Platz, das anzeigt, er habe das alles schon längst und viel besser gewußt. Wir fühlen uns daher überflüssig und gehen. Sein Kopf bewegt sich auf seinem vertikalen Geleis von oben nach unten in einer Geste des Abschieds.
Es kam aber vor, daß der gütige Herr nicht nur beförderte, sondern jemanden — wenn er illoyales Verhalten feststellte — leider auch degradierte oder ihn gar — mein Freund, verzeih mir den harten Ausdruck — mit Schwung auf die Straße warf. Dann konnte man ein Interessantes Phänomen beobachten: In dem Moment, da jemand die Straße berührte, verschwanden alle Anzeichen der Ernennung, die physischen Veränderungen wurden rückgängig gemacht, und der Gefeuerte war wieder wie früher. Er legte sogar eine nervöse und etwas übertrieben scheinende Neigung, sich zu verbrüdern, an den Tag, als wollte er die ganze Angelegenheit vergessen machen, sie mit einer Handbewegung vom Tisch wischen und sagen; »Ach, vergessen wir's«, als handelte es sich um eine Krankheit, die nicht der Rede wert ist.
Kapuscinsky, König der Könige. Eine Parabel der Macht. 1978