Schon als ich vor langer Zeit
Vom Nachteil geboren zu sein und
Lehre vom Zerfall las, kam mir gelegentlich vor, als ob sich in diesen Texten der Düsternis und Verzweiflung ein schneidender Humor verbirgt, angesiedelt nördlicher als Norden und südlicher als Süden, wie es in einem Märchen heißt. Jetzt ist mir dank einer Leserin, die das Buch in der Hauptbücherei entlehnt und bei uns zurückgegeben hat, "Von Tränen und von Heiligen" in die Hände gefallen.
["Auch das Lesergut ist zu etwas gut!", wie es in einem alten Biblothekarslied heißt]
Dieses frühe Buch hat
Cioran ursprünglich noch auf Rumänisch geschrieben, wobei er ein halbes Jahrhundet später sowohl an der späteren Übersetzung und Neuformulierung ins Französische als auch ins Deutsche selbst gearbeitet hat.
Und die Vermutung von damals bestätigt sich. Zum Beispiel diese Stelle:
Was mich vom Leben und allem überhaupt trennt, ist der furchtbare Verdacht, Gott könnte bloß ein zweitrangiges Problem sein. Dieser Zweifel - luizid bis zum Wahnsinn - zwingt uns die Hände in den Schoß zu legen: was sonst bleibt von uns übrig?
Hat etwa die Inhaltslosigkeit der Existenz Gott selbst befallen? Die Krankheit des Unwesentlichen die Wesenheit selbst angegriffen? Die göttliche Substanz muß schon seit langem verdorben sein, daß wir ihren Gesundheitszustand und ihre Kräfte in Zweifel ziehen. Gott ist nicht mehr gegenwärtig, nicht einmal mehr die Lästerungen vermögen ihn zu beleben. Wo also, in welchem Altersheim ruht er? Ich habe begriffen: ein Absolutes, das sich schont. Die Welt hat letztlich nur eine brüchige Gottheit verdient.
Wobei sich dieser Humor von jenem "Hauch eines Lächelns" unterscheidet, der vom Nachwortschreiber bei folgendem Zitat ausgemacht wurde:
Der Geheimschreiber einer Heiligen zu sein, das erachtete ich als die höchste Karriere, die einem Sterblichen beschieden war.
ist gut, hat aber eher als Quelle eine lächelnde Altersweisheit, was auch dem Zeitpunkt der Formulierung dieses Satzes entspricht.
Technorati Tags: Cioran