"Eine fundamentale Korrektur der Weltwirtschaft"

glaubt Annemarie Kramser im Editorial des Zentralorgans des Österreichischen Gewerkschaftsbundes "Solidarität" zu erleben. Auch im weiteren Text ist sie so naiv oder tut auch nur so.


Wer diesen Erlebnisgehalt nicht mit ihr teilt, sei auf den sehr informativen Artikel "Business as usual" aus "analyse&kritik" verwiesen, der es nicht nur im letzten Satz auf den Punkt bringt:





Wer über den Irrsinn des Kapitalismus nicht reden will,

sollte über den Irrsinn kapitalistischer Finanzmärkte schweigen






Auch Büchereien sind kein Gulasch

In einem Interview in der Gratis-Illustrierten wien-live stellt die für die Wiener Büchereien zuständige Stadträtin Laska fest:

"Die Städtischen Büchereien haben ein sehr breites Aufgabengebiet. Vom Modell der kleinen Filiale - wo ich hingehe und mir ein Buch ausborge und nach 14 Tagen wieder zurückbringe - haben wir uns inzwischen weit entfernt.
Die Büchereien bieten jetzt vor allem Kommunikationsräume an. Bestes Beispiel ist die Hauptbücherei am Gürtel. Das ist ein Kommunikationszentrum erster Güte, wo Veranstaltungen stattfinden, wo Lernen vor Ort möglich ist, wo natürlich auch die neuen Medien genutzt werden können und wo es auch fachliche Beratung gibt."


Sie fallen von einem Extrem ins Andere. Jahrzehntelang ist in die Politikerköpfe nicht hineingegangen, dass Büchereien etwas anderes und mehr sind als eine Romanschwemme. Wenn sie dann vor Ort, wie die zuständige Stadträtin, nicht mehr übersehen können, dass die Bediensteten der Büchereien aus eigener Initiative mehr aus der Einrichtung machen, als sie sich je vorstellen hätten können, wird nunmehr diese Büchereiform zum einzigen Modell, das abgerufen wird, wenn das Keyword "Büchereien" fällt.
Und blenden aus, dass es schon aus Platzgründen und aus Gründen des BenutzerInnenbedarfs auch heute noch etliche Zweigstellen gibt, die nicht viel mehr sein können, als eine Einrichtung, die ein bedarfsorientiertes Sortiment bereit stellt für LeserInnen, die in die Bücherei nicht der Kommunikation und des Events halber hingehen, sondern um sich ganz einfach Bücher auszuborgen. Übrigens für vier Wochen und nicht für zwei.

Diese Stadträtin ist es im übrigen gewesen, welche jenen Büchereitypus trotz massiver Proteste (siehe Bilder) gekillt hat, dessen wesentliche Funktion nicht die Entlehnung von Medien war, sondern vor allem als Kommunikationstreffpunkt diente. Der aber dennoch - oder gerade deswegen - nachgewiesenermaßen als barrierefreier Zugang zur Bücherei für sogenannte bildungsferne Schichten diente.
Gemeint sind die Lehrlingsbüchereien, die vor einem halben Jahrzehnt als nicht dem Kerngeschäft der Büchereien zugehörig angesehen wurden.
Die jahrelange wertvolle Arbeit unter anderem auch im integrativen Bereich (da ja viele Lehrlinge nicht Deutsch als Muttersprache haben) war auf einmal nichts mehr wert.
Was zählte, waren nur noch Events und schnelle Ergebnisse, die wohlwollende Medienberichte nach sich zogen. Mittelfristig und langfristig wirkende Büchereiarbeit verschloss sich dagegen simplen Quantifizierungen, sondern war nur durch ein bißchen Nachdenken nachvollziehbar.

Die Stadträtin, die möglicherweise bald zu ihren Wurzeln zurück findet, beschreibt es selber im Interview:

"Aber im Grunde genommen ist es natürlich so, dass das Dankeschön und das unmittelbare Erfolgserlebnis weder im Unterricht noch in der Politik die erste Kategorie sind. Ich habe ja auch die Welt der Gastronomie kennengelernt, weil ich durch den Beruf meiner Eltern in der Gastronomie groß geworden bin.
Dort konnte ich etwas völlig anderes erleben. Da habe ich genau gewusst, ich serviere jemanden ein Gulasch und fünf Minuten später weiß ich, es hat ihm geschmeckt oder eben nicht. Das hat man weder in der Pädagogik noch in der Politik."

Und auch nicht in der Büchereiarbeit.




Anonymes Bloggen?

LoL hat es m.E. auf den Punkt gebracht:

LoL zumindest geht es so. Sie ist noch nicht so weit, sämtliche Daten, Bilder etc. von sich um den Globus zu schicken. Wehrt sich auch, bis jetzt immer noch erfolgreich, dagegen, dass auf der Website ihrer Bibliothek neben den Kontaktdaten der MitarbeiterInnen auch noch jeweils ein Bilder geladen wird. Diese absolute Öffentlichkeit, über die man keinerlei Kontrolle mehr hat, der man sozusagen machtlos ausgeliefert ist, ist ihr im Moment doch noch zu abschreckend - und auch zu einseitig. Das heisst aber nicht, dass sie nicht zu dem auf diesem Blog Geschriebenem steht. Auch ist ihr Blog absolut kein wohlgehütetes Geheimnis, LoL hat keine Probleme damit, ihn ihrem Freundes- und Kollegenkreis mitzuteilen und ihre Identität preiszugeben. Viel wichtiger als die Identität ist ihr in erster Linie aber jeweils der Inhalt eines Blogs bzw. Posts. Und Kontakt zum jeweiligen Blogger lässt sich über den Blog ja sowieso problemlos herstellen, egal ob man nun weiss, wie die Person mit richtigem Namen heisst, oder nicht.
Es geht eben nicht darum, als Anonymling quasi die Blogsau rauszulassen, sondern die ohnehin viel zu viel und an zu vielen Orten präsente Ichigkeit etwas zurückzunehmen. Was, so meine Vermutung, dem Geschriebenen durchaus zugute kommt. Irgendwo steht bei Walter Benjamin, dass die Qualität seiner Texte darauf zurückzuführen sei, stets das "Ich" vermieden zu haben. Dorthin ist es sowieso ein weiter Weg :-)




 

Auseinander getanzt

Durch den Hinweis von Adresscomptoir auf die Tagung "Jazz hinter dem Eisernen Vorhang" und auf das Forschungsprojekt "Jazz im 'Ostblock' - Widerständigkeit durch Kulturtransfer" ist mir das Lied von Wolf Biermann eingefallen, der vom Schicksal eines Drainage-Legers aus Buckow berichtet, der gegen das Verbot, nach westlicher Manier zu tanzen, verstoßen hatte. Ist zwar nicht Jazz, sondern Rock 'n Roll, doch für die Machthaber wars eh alles eins. In gewisser Weise für die Machthaber beider Seiten, wie folgende Textstelle zeigt:

Beide Seiten wollten Familien mit fürsorglichen, asexuellen Hausfrauen und männlichen Beschützern. In diesem Zusammenhang sahen beide Seiten Rock-'n'-Roll-Fans durchaus als politische Bedrohung.
Die Repressionen waren jedoch in der DDR weitaus systematischer und stärker. In der DDR bemühten sich Parteiorganisationen und staatliche Stellen insbesondere, sogenanntes offenes Tanzen als imperialistischen Einfluß zu unterbinden. FDJ-Klubs engagierten zum Teil regelrechte Aufpasser. 1957 gab ein Mitarbeiter des Ministeriums für Kultur die Anweisung an die Konzert- und Gastspieldirektion, die Verbreitung des Rock-'n'-Roll in der DDR zu verhindern. ...
Die Ähnlichkeit von DDR- und BRD-Kulturvorstellungen rührte Mitte der 1950er Jahre zu einer merkwürdigen Konstellation. Westdeutsche Kirchenführer und konservative Politiker, unter anderem Innenminister Gerhard Schröder behaupteten mehrfach, daß Jugendliche in der DDR besser vor den Gefahren von Konsumkultur und amerikanischen Kultureinflüssen beschützt wurden.


Und hier das Lied - hab leider keine Aufnahme gefunden. Bin auch nicht sicher, obs je auf einer Platte erschienen ist, oder nur auf jenem legendären Tonband zu hören war, das Ende der 60er in Wien herumgereicht und kopiert wurde:

Die Ballade von dem Drainage-Leger Fredi Rohsmeisl aus Buckow
Wolf Biermann

Das ist die Ballade von Fredi Rohsmeisl
Drainage-Leger auf den Äckern um Buckow
Gummistiefel hoch bis zum Bauch
sein Häuschen links am Fischerkietz.
Bei Lene Kutschinsky war Tanz
er hat auseinander getanzt
mit seiner Verlobten – das war verboten
na schön...

Junge, ich hab Leute schon tanzen sehn
Junge, das war manchmal schon nicht mehr schön.
Aber schadet uns das?
Nein.

Und als er so wild auseinander tanzt
die Musik war heiß und das Bier war warm
da hatten ihn plötzlich zwei Kerle am Arm
und schmissen ihn auf die Taubengasse.
Und schmissen ihn über den Lattenzaun
und haben ihn in die Fresse gehaun
und er hatte noch nichts getan
und hatte den hellblauen Anzug an.

Junge, ich hab Leute schon schlagen sehn
Junge, das war manchmal schon nicht mehr schön.
Aber nützt uns das?
Nein.

Da hat Fredi Rohsmeisl beide verrammt
zwei links zwei rechts er traf genau
und waren zwei große Kerle die zwei
halb Buckow sah ihm zu dabei.
Das Überfallauto kam antelefoniert
hat Fredi halb tot gehaun
das haben die Buckower Männer gesehn
und auch die Buckower Fraun.

Junge, ich hab Leute schon zusehn sehn
Junge, das war manchmal schon nicht mehr schön.
Aber nützt uns das?
Nein.

Dann kriegte er einen Prozess an Hals
als Konterevolutionär
wo nahm der Staatsanwalt nur das Recht
für zwölf Wochen Knast her?!
Seitdem frisst ihn ein stiller Zorn
und nach dem zehnten Bier
erzählt er Dir seine große Geschichte
von hinten und auch von vorn.

Junge, ich hab Leute schon weinen sehn
Junge, das war manchmal schon nicht mehr schön.
Aber nützt uns das?
Nein.

Und er findet noch kein Ende
und er ist voll Bitterkeit
und er glaubt nicht einen Faden
mehr an Gerechtigkeit.
Er ist für den Sozialismus
und für den neuen Staat
aber den Staat in Buckow
den hat er gründlich satt.

Junge, ich hab Leute schon fluchen sehn
Junge, das war manchmal schon nicht mehr schön.
Aber nützt uns das?
Nein!

Da gingen einige Jahre ins Land
da gingen einige Reden ins Land
da änderte sich allerhand
dass mancher sich nicht wiederfand.
Und als der zehnte Sputnik flog
da wurde heiß auseinander getanzt
der Staatsanwalt war selber so frei.
Und Fredi sah ihm zu dabei.

Junge, ich hab Leute sich ändern sehn
Junge, das war manchmal schon einfach schön.
Aber nützt uns das? (Ja.)





Keine angestaubten BibliothekarInnen mehr

gebe es in der Hauptbücherei, meint deren Leiter auf die Frage von buch-live auf S. 32, warum er in die Bücherei komme:
Und auch die Bibliothekarinnen und Bibliothekare sind nicht mehr angestaubt, sondern das ist ein modernes Berufsbild, dassich gewaschen hat, würde fast auf den Lippen liegen, aber nein, es wird brav fortgesetzt:sich sehr gewandelt hat!"
Es scheint, dass die KollegInnen direkt am Bau der Hauptbücherei eingesetzt worden waren, wo sie angestaubt wurden, aber sie es nunmehr nicht mehr sind, sozusagen.






Stealth-RFID-Chips als Schutz vor Bücherdieben?

Der Tagesspiegel und auch Die Welt sowie das Hamburger Abendblatt verkünden die neue Hoffnung:

High-Tech gegen Bücherklau in Berliner Bibliotheken

Berlins Bibliotheken sind hilflos im Kampf gegen Bücherdiebe. Nun wollen sie verstärkt auf eine neue Technologie setzen, um den Bestand zu schützen. Das ergab eine dpa-Umfrage zum Welttag der Bibliotheken heute. Die neue Technik heißt Radio Frequency Identification. Mittels eines Lesegerätes können die Chips in Büchern geortet werden, ohne sie zu berühren.
Allerdings ist auch dieses System noch nicht ausgereift, wie der 2,5-jährige Einsatz an der Universitätsbibliothek Karlsruhe zeigt. Sobald der Chip sichtbar ist, ist das Buch nicht mehr sicher. Ausleihe und Rückgabe funktionieren in Karlsruhe nun aber ohne Personal rund um die Uhr.

Wenn die Berliner Hoffnungen und die Karlsruher Erfahrungen zusammengeführt werden, dann kann das nur heißen, dass ausschließlich ein Tarnkappen-RFID-Chip vor Diebstählen schützen kann, denn ein gesehener Chip ist ein toter Chip.
Was geschieht eigentlich, wenn die Alarmanlage in Karlsruhe losgeht und rund um die Uhr kein Personal da ist?

Oder ist nur kein Bibliothekspersonal anwesend, dafür jenes von der Sorte, die ein aus dem Zusammenhang gerissener Satz in einem Bericht über eine Schwäbische Bücherei vermuten lässt:

Die Bücherei verwandelte sich in ein Polizeirevier.





Apotheker aus der Schusslinie - Affenhorde in die Bibliothek

In der  "Newsgroup de.sci.mathematik Reine und angewandte Mathematik." scheint selbst für eine reine Denkaufgabe die Vorstellung, dass Arzneimittelfläschchen in einer Apotheke falsch etikettiert werden könnten, zu ungeheuerlich zu sein. Da läßt man lieber durch eine Horde Affen eine Bibliothek verwüsten:
Apotheker-Raetsel (Stochastik)

"Ein Apotheker hat n Flaschen und n Etiketten. Wie hoch ist der Erwartungswert der Zahl der richtig aufgeklebten Etiketten? Die Flaschen haben verschiedene Inhalte sind aber von außen nicht unterscheidbar und sollen auch nicht geöffnet werden. Das Aufkleben geschieht völlig zufällig."
MfG Helmut

"Im Original heißt die Frage, wieviel Bücher im Mittel in einer Bibliothek, geordnet von einer Affenhorde, an ihrem angestammten Platz stehen.

Nur um die Apotheker aus der Schußlinie zu holen.

Bei der leeren Bibliothek ist der Erwartungswert 0, bei der 1-Buch Bibliothek 1 und bei der 2-Buch-Bibliothek 1/2 * 2 + 1/2 *0 =1.
Der Rest folgt per Induktion".

Roand Franzius




Raubgut, Nestschmutz und der ewige Dienstweg

Im aktuellen Spiegel 48/2008 S 58 ff wird über den Umgang mit Raubgut in deutschen Bibliotheken berichtet:

Die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen etwa ist stolz auf ihren hochmodernen Scan-Roboter. Beim Thema Digitalisierung ist sie bundesweit führend. Nur die Vergangenheit interessiert sie offenbar weniger.
Es war ein Referendar, der Ende vergangenen Jahres einen Blick in die verstaubten Zugangsbücher aus den Jahren des Zweiten Weltkriegs warf. Dort stieß Arno Barnert auf Lieferungen aus dem „Beutelager" der Wehrmacht in Göttingen. Er fand Zugänge aus Krakau, Posen, dem polnischen Konsulat in Leipzig und einem Gymnasium im niederländischen Enschede. Als „Ankauf" eingetragen waren Bücher des Wiener Goethe-Experten Friedrich Fischl, der 1941 deportiert und im Ghetto von Lodz ermordet worden war.
Barnert informierte die Bibliotheksleitung. Wenige Tage später bekam der Referendar den Besuch eines Bibliotheksdirektors, der dem jungen Mann empfahl, das NS-Raubgut besser nicht zum Thema seiner Abschlussarbeit zu machen. Damit werde er sich keine Freunde machen und zudem die Chancen auf einen Job nicht verbessern. Möglicherweise werde man ihn als Nestbeschmutzer ansehen.
Doch Barnert suchte weiter. „Die Wege und Geschichten von Büchern, die in der NS-Zeit erworben wurden, zu dokumentieren ist für Bibliothekare eine grundlegende Aufgabe, eine Frage der Ethik", sagt er. Im Februar tat sich Barnert mit dem Göttinger Germanisten Frank Möbus zusammen, der gerade eine Ausstellung zum Thema Bücherverbrennung vorbereitete.
Im Stadtarchiv fand Möbus Dokumente, die belegten, dass im März 1933 in Göttingen SA-Männer zusammen mit Polizisten bei einem kommunistischen Buchhändler 890 Bände beschlagnahmt hatten. Einen Teil bekam die Staatsbibliothek in Berlin, einen Teil die Universitäts-Bibliothek Göttingen.
Möbus unterrichtete die Göttinger Universitätsleitung, die beschloss, im Rahmen eines Forschungsprojekts NS-Raubgut in der Bibliothek ausfindig machen zu lassen. Referendar Barnert hingegen hatte sich von seinem Vorgesetzten noch lautstark belehren lassen, er habe den Dienstweg missachtet.
Der Dienstweg ist deutschen Bürokraten immer schon teuer gewesen, und er wurde in deutschen Bibliotheken selbst in den Wirren des Zweiten Weltkriegs beim Bücherraub zumeist eingehalten.

Der gesamte Artikel ist hier.










Sie sind Oasen der Stille

schreibt das Magazin für Mitarbeiter und MitarbeiterInnen der Gemeinde Wien, Wien aktuell 10/2008.







Tango-Bubis

Im zweiten Band des Deutschen Tagebuchs von Kantorowicz bin ich im Zusammenhang mit den Ereignissen des 17. Juni 1953 auf diese Bezeichnung gestoßen. Ein Uni-Assistent von K. besucht diesen im Krankenhaus und erzählt schreckensbleich und ohne Parteiabzeichen auf dem Revers, dass die Bauarbeiter streikten und demonstrierten sowie Parteimitglieder verprügelten.
"Er vermutete westliche Provokationen. Unter den Linden trieben sich Tangobubis und Schlägergruppen aus West-Berlin herum und hetzten die Arbeiter auf."
Man könnte annehmen, dass der Assistent, den K. vorher zusammen mit anderen als "doktrinär überzüchtet" eingeschätzt hatte und später als "parteistrebsam" bezeichnete, einfach Parteifloskeln wiedergegeben hatte, so wie im DDR-Rundfunk zu hören:
"Und kein Deutscher kann, wenn er ernsthaft überlegt, auch nur für einen Augenblick annehmen, daß Adenauer, der schon tausend Arbeiterdemonstrationen zusammenschießen ließ, wirklich Arbeiterinteressen im Auge hatte, als er seine "Garde", Tangojünglinge, CIC-Agenten und ähnliches Gelichter, in hellen Scharen in den Demokratischen Sektor von Berlin marschieren ließ. Durch das rechtzeitige Eingreifen breiter Teile der Bevölkerung, die durch unsere Volkspolizei vorbildlich unterstützt wurden, sowie durch das Eingreifen der sowjetischen Besatzungsmacht - die die wahren Ziele der Ausschreitungen rechtzeitig und frühzeitig - früher als wir - erkannt hat - wurde ein Anschlag vereitelt, der gegen die ureigensten Interessen der Arbeiter selbst gerichtet war." (Erich Selbmann: Taten zum Wohle des Volkes[DDR-Rundfunk,23.6.1953])
Doch wenige Zeilen später übernimmt K. in einer realistischeren Einschätzung selbst diese Bezeichnung, was darauf hinweist, dass "Tangobubis" auch für ihn eine zutreffende und negativ gemeinte Bezeichnung für einen bestimmten Typus waren:
"Mag sein, dass auch Provokateure den Zeitpunkt genutzt haben, doch was für eine armselige Ausrede, sich weiszumachen, ein paar Tangobubis vermöchten einen Arbeiteraufstand auszulösen."
Auch bei Victor Klemperers "So sitze ich denn zwischen allen Stühlen" finden sich "Tango-Jünglinge" im Umfeld der 17.-Juni-Ereignisse. Allerdings als Propaganda-Ausdruck gekennzeichnet:
"LQI. Tango-Jünglinge aus Westberlin"
Mit LQI = "lingua quarti imperii" bezeichnet Klemperer SED-Jargon-Ausdrücke, analog zu den in der Nazizeit geschaffenen Begriffen, die er mit "LTI" ("lingua tertii imperii") gekennzeichnet hatte.
Ob Klemperer in seinen Tagebüchern 1933-45 "Ich will Zeugnis ablegen bis zum Letzten" bereits "Tangobubis/jünglinge" in seine Jargonliste aufgenommen hat, kann ich mich nicht erinnern, glaube aber eher nicht.

Jedenfalls wurden im "Dritten Reich" in unterschiedlichen Zusammenhängen Jugendliche, welche den HJ-Normen nicht entsprachen, mit "Tangobubis/jünglinge" verächtlich zu machen versucht.
Z.B. konnte bereits sorgfältig gewählte Kleidung beim Theaterbesuch statt Uniform zum Ärgernis werden:
"Wenn wir ins Theater gingen, dann machten wir uns fein, egal ob privat oder beim Theater-Ring der HJ. In gewisser Weise opponierten wir sogar gegen den HJ-Zwang, wenn wir in blauem Einsegnungsanzug, dunklem Mantel und weißem Schal ins Theater kamen, wo die meisten anderen in Uniform waren.
Wir begaben uns damit bewusst in eine Außenseiterrolle. Deshalb ärgerte es uns auch nicht, als uns nach einem Theaterbesuch einige Hitlerjungen, sicher angestachelt von ihrem Scharführer, abfällig Tango-Bubis nannten. Ganz im Gegenteil, wir waren sogar ein wenig stolz auf uns." (Jahrgang 28)

Dies dürfte die "Ur-Figur" des "Tango-Jünglings" gewesen sein, die vermutlich noch aus der Zeit vor der Machtübernahme der Nazis kommt:
"Damals trug ich Lackschuhe und weiße Kragen schon am Vormittag, das lange pomadige Haar lag mir glatt am Kopf, in der Mitte gescheitelt. Dazu übte ich einen Blick aus halb geschlossenen Augen, so als lohne es nicht, in den Tag zu sehen. Den Kopf leicht geneigt, begnete ich einer rauhen Welt, die mich Tangojüngling nannte" (Lorenzen: Als ich noch Tangojünglig war; in: Heinrich Himmler und die Liebe zum Swing). Ausführlicher hier.
Deutlich bewusstere Opposition legte die "Swing-Jugend" an den Tag. Ihnen gemeinsam war die Liebe zum Jazz und ihre Anglophilie, und sie hatten weder mit Hitlerjugend noch mit "Drittem Reich" was am Hut:
"Die ansonsten z.B. als "Swing-Heinis", "Tango-Bubis" und "Hotter" Beschimpften fanden sich z.B. im "Churchill Club" , als "Anthony Swingers" oder eben - bspw. in Kiel - im "Club der Plutokraten" zusammen. Sie legten sich englische Pseudonyme wie "Eton Jackie" oder "Fiddling Joe" zu, begrüßten sich mit Worten wie "Swing high - Swing low" oder gar mit "Swing Heil" und eben der erwähnten Verballhornung des "deutschen Grußes" - "Heil Hotler"." (Heil Hottler grüßt der Plutokrat)
"Nein, 'ganz normale Jugendliche', wie man es heute oft liest, waren die "Hotter", "Stenze" oder "Tango-Bubis" kaum. Der Normalität entsprachen damals die Anderen. Ein paar Tausend, in großen Städten wie Hamburg, Frankfurt am Main, Bremen oder Hannover, konnten nicht normal sein, auf dem Hintergrund der Millionen der Hitlerjugend. Gegen das Attribut "normal" hätten sie sich vehement gewehrt. Wenigstens insofern stimmten sie mit der Masse überein." (Lexi-tv - Swing)
"Doch die Swing-Kids fielen durch ihr Verhalten und ihre Lebensart aus den Idealvorstellungen der Nationalsozialisten heraus, mit deren Ideologie sie schon bald in Konflikt gerieten. Die deutsche Frau sollte sich nicht schminken und nicht aufreizend kleiden. Die männlichen Swing-Kids, auch Swing-Heinis oder Tango-Jünglinge genannt, waren das Gegenteil von dem, was man sich unter einem Hitlerjungen vorstellte. Sie gaben sich weder drahtig noch soldatisch, sondern trugen anstelle des von der HJ propagierten Kurzhaarschnitts ihre Haare lang."(Die Swing-Jugend)
Ein neuer Text nach der Melodie eines bekannten Liedes verspottete die HJ:
Kurze Haare, große Ohren
so war die HJ geboren!
Lange Haare, Tangoschritt -
da kommt die HJ nicht mit! O-ho. O-ho!
Und man hört's an jeder Eck'
die HJ muß wieder weg! O-ho, O-ho! (
Arno Klönne: Jugend im Dritten Reich. S. 270)

Die Repressionen ließen nicht lange auf sich warten:
"Der HJ ­ Streifendienst nahm seine Aufgabe der Überwachung von 'Verwahrlosungs- und Zersetzungserscheinungen' in Eimsbüttel mit Härte wahr. "Tango-Jünglinge" oder "Swing-Heinis" wurden von den Streifendienstlern oft brutal verprügelt. Der Eimsbüttler Swing-Heini Gunter Lust erinnert sich:
'Immer wieder wurde man aus den Lokalen und Kinos herausgeholt, verprügelt und zu Wochenendarbeit verurteilt. Dies schmeckte uns gar nicht. Mich hatte die Streifen HJ eines abends, als man mich nach 22 Uhr noch auf der Straße antraf, in ein Treppenhaus gezerrt und gottjämmerlich verprügelt. Meine Freundin, die ich bei mir hatte, ließ man wieder laufen.'..(...)
Solche Schlägereien hatten nichts mehr mit den harmlosen Kämpfen "Straße gegen Straße" zu tun, die die Kinder und Jugendlichen in Eimsbüttel immer einmal wieder gegeneinander austrugen und von denen viele Zeitzeugen noch heute mit Begeisterung berichten. Das war bitterer Ernst. Einige Jugendliche, die sich zur Wehr setzten, gerieten sogar in die Fänge der Gestapo."(HBS)
Es scheint, dass auch im Westen Nachkriegsdeutschlands die Nazibezeichnung ziemlich bruchlos auf Jugendliche angewandt wurde, die vom Idealmodell der "Aufbaugeneration" abwichen:
"Auch in den politischen und publizistischen Debatten über einen verschärften 'Jugendschutz' wurde eine angeblich weit verbreitete jugendliche 'Verwahrlosung' beklagt, die sich in Aufsässigkeit, Unordentlichkeit, Herumtreiberei äußere und zur sicheren „Asozialität“ führe. Tiraden gegen „Tangojünglinge“, „Modepuppen“ oder „Halbstarke“ gehörten zur Standardkommunikation zwischen den Angehörigen der Kriegs-und der Nachkriegsgeneration, und das nicht nur in Deutschland." (40 Jahre 1968)
"Der Volksmund ist bisweilen ebenso humorig wie treffsicher. In den Jahren nach dem 2. Weltkrieg hat er mit bitterem Sarkasmus einen neuen Begriff geprägt, den 'Tango Jüngling'. Sein Steckbrief ist landläufig bekannt. Bekleidung: kothurnartige Crépe-Schuhe, Buschhemd, Dritter-Mann-Mantel, grelle Krawatte; Auftreten: übertrieben mode- und geltungssüchtig, hält sich meist in oder vor Kinos oder auf Rummelplätzen in lockeren Rudeln auf oder in Kneipen, wo Jazz heiß serviert wird; besondere Kennzeichen: Kofferradio oder Motorräder, die sehr schnell sind und viel Lärm machen."   ("Synkopen am laufenden Band...")
Allerdings hat sich zum Teil die Erscheinungsform, an der sich das Etikett "Tango-Jünglinge" anheften ließ, inzwischen geändert, denn ihre Beschreibung wirkt für die damalige Zeit bereits sehr unmodern:
"Vor allem der Swing, damals die im Jazz vorherrschende Stilart, begeisterte uns Jugendliche. Die neue Musik war immer öfter im Radio zu hören ... Besonders gut erinnere ich mich an die "Harry-Harder-Combo" vom Kurfürsten- damm Berlin, die irgendwann im Winter 1947/48 im "Resi" engagiert war. Eine tolle Band - wenn sie "Hey-Ba-Be-Re-Ba" hotteten oder den "Flat Foot Floogie" swingten, schrien wir vor Begeisterung. Man nannte uns damals etwas verächtlich die Swing-Heinis. Wir wiederum nannten unsere Altersgenossen, die Schnulzen und lahme Schlager liebten (wie z.B. die "Caprifischer"), herablassend Tango-Jünglinge. Sie schmierten sich Pomade in die Haare, hatten lange Jacketts an und waren hinter allen Mädchen her. Diese Stenze zog es mehr in die "Scala", in der sehr gute Tanzorchester spielten, wie z.B. "Harry Weissnicht" vom "Luisenhof" Dresden-Weißer Hirsch. Hier machte man auf vornehm. Die Preise waren hoch, und es herrschte Krawattenzwang. Wer ohne Schlips kam, wurde nur eingelassen, wenn er sich an der Garderobe einen auslieh gegen Hinterlegung eines Pfandes. Solchen Firlefanz mochten wir nicht und gingen dort kaum hin." (Jazz in Görlitz)
Aber gerade auf diese Auslaufmodelle warf das Maschinengewehr Gottes seine strengen kirchlichen Augen:
"Und jetzt frage ich Dich: Mädel, kennst Du den Mann, den Du Deinen Bräutigam nennst? Mit dem Du eines Tages vor den Traualtar treten willst? Ist er etwa auch einer jener Tangojünglinge, die Augenränder haben wie die Autoreifen?
Weißt Du auch, daß in jedem Mann ein Ritter und ein Raubritter steckt? Hüte Dich davor, den Raubritter, den Casanova in ihm herauszufordern! Denn dann wird er an Deiner Seite die Straße mit geilen Augen wie ein Scheinwerfer nach sexueller Aufputschung abgrasen." (Pater Leppich)
Und schließlich ein später Reflex von Marx Merkel:
"Die Stagnation im Weltfußball fällt aber auch auf die Trainer zurück, die mit ihrer Mannschaft zu oft zufrieden sind. Sie streicheln ihre Tango-Bubis immer nur." (Max Merkel)

Wiener Büchereien: Neues Service, gut versteckt.

Seit einigen Wochen gibt es für BenutzerInnen der Wiener Büchereien, die eine E-Mail-Adresse bekannt gegeben haben, Erinnerungsmails vier Tage vor Ablauf der Entlehnfrist. Ein Service, dass seither von Vielen zurecht gelobt wird, so stellt es doch einen Ausgleich für die seit Anfang des Jahres empfindlich erhöhten Verspätungsgebühren dar. Der von einigen KollegInnen erhobene Einwand, dass BenutzerInnen ohne Mail-Adresse benachteiligt würden, geht - zum Teil - ins Leere. Denn auf ein Service zu verzichten, weil es nicht von allen genutzt werden kann, wäre töricht. Allerdings wäre es angebracht, auf die Benachteiligung Jener, die dann auch die Mahnschreiben viel später erhalten,  entsprechend zu reagieren. Etwa bei der Berechnung der Mahngebühren möglichst kulant vorzugehen und nicht einfach das maschinell erzeugte Ergebnis abzukassieren. Ich fürchte aber, das wird nur bei einem geringen Teil der Büchereizweigstellen auch so praktiziert werden. Auf alle Fälle sollte aber die geplante, aber wegen mangelnder technischer Umsetzbarkeit derzeit nicht praktizierte "Brief-Gebühr", das heißt, eine zusätzliche Strafgebühr für alle, die keine E-Mail-Adresse haben, endgültig gestrichen werden.
Übrigens sucht mensch auf der Homepage der Büchereien vergeblich nach einer Bewerbung des neuen Services. Es gibt zwar einen Text, doch scheint der nirgendwo verlinkt zu sein - ich habe ihn auch nur nach einigen Versuchen mit der Site-Abfrage gefunden:
Erinnerungsmails und täglicher Mahnversand

Erinnerungsmails und täglicher Mahnversand

Wir freuen uns, allen unseren BenutzerInnen mit eingetragener E-Mail-Adresse die Zusendung von Erinnerungsmails vor Ablauf der Entlehnfrist anbieten zu können.
Wenn wir Ihre E-Mail-Adresse noch nicht gespeichert haben, können Sie diese online auf http://katalog.buechereien.wien.at oder persönlich in ihrer Bücherei bekannt geben. Eine Erklärung, wie Sie uns Ihre E-Mail-Adresse online mitteilen können, finden Sie in unserer Hilfe zum Online-Katalog .
Sie erhalten dann jeweils 4 Tage vor Ablauf der Entlehnfrist eine E-Mail, die Sie an Ihren Abgabetermin erinnert. So haben Sie die Möglichkeit, Ihre entlehnten Medien online zu verlängern oder rechtzeitig zurückzugeben und sich damit eine eventuelle Versäumnisgebühr zu ersparen.
Eine weitere Verbesserung:

Mailmahnungen werden ab nun jeden Tag, anstatt wie bisher nur einmal wöchentlich, versandt. Die Briefmahnungen bringen wir zweimal wöchentlich zur Post, also doppelt so oft wie bisher.



Nachtrag: Wie ich inzwischen informiert wurde, hat es beim Start des neuen Services auch auf der Hauptseite einen entsprechenden Hinweis gegeben, der inzwischen durch Aktuelleres (Lesofantenfest) ersetzt wurde. Und dieses Service ja eigentlich als Selbstverständlichkeit angesehen werde, das man nicht extra "vermarkten" müsse. Ist auch wieder wahr. Und übersehen habe ich darüber hinaus einen kleinen Hinweis auf der Seite über den Entlehnmodus.
Die Überschrift müsste demnach also lauten: Neues Service, nicht gut versteckt :-)




Angst vor Bibliotheken


Im Blog-Interview zum neuen Buch (zusammen mit Sascha Lobo) "Dinge geregelt kriegen" schreibt Kathrin Passig:
"Ja, wir haben Angst vor Bibliotheken. Natürlich kann man in und mit Bibliotheken leben, man gewöhnt sich schließlich an alles. Und seit einigen Jahren haben die Bibliotheken ja auch ihr Instrumentarium an Regelungen, Sonderregelungen, Öffnungszeiten, Ordnungssystemen, Zettelkästen, missmutigem Personal, unauffindbaren Bänden („evtl. Kriegsverlust“), Fernleihverfahren, wochenlangen Wartezeiten, Kopierverboten und in Haus 3 untergebrachten Magazinen zurechtgestutzt. Aber dass die Benutzung von Bibliotheken heute etwas bequemer als früher ist, ändert wenig an der Umständlichkeit dieser Form der Informationsbeschaffung. Ein von freundlichen Fachleuten bereitgestellter, gut gewarteter Faustkeil bleibt ein Faustkeil. Zum Glück ist die Angst vor Bibliotheken heute eine völlig folgenlose Angst, vergleichbar etwa mit der Angst vor Speed-Dating-Partys oder Höhlentauch-Expeditionen."
Hier der sehr gelungene Werbespot zum Buch:




Ein Ehrenamt für die Kulturnation

Der Kurier bringt ein Interview mit Gerald Leitner, Geschäftsführer des Büchereiverbands Österreich (BVÖ) und Präsident der Europäischen Bibliotheksverbände:
Zugpferde für die Kulturnation
"Österreich liest" Prominente und Bibliotheken engagieren sich für das Lesen. Die Situation der Büchereien aber ist unbefriedigend. Josef Hickersberger hat endlich Zeit dafür. Toni Innauer fliegt darauf. Und für Anna Netrebko gehört es zum guten Ton: Lesen.
Prägnante Persönlichkeiten werben für die Kampagne „Österreich liest“. Die zum dritten Mal stattfindende Leseaktion (siehe rechts) wird heuer erstmals von Deutschland übernommen. Auch andere Länder fragen um das Erfolgskonzept an.
Die prinzipielle Situation von Österreichs Bibliotheken hingegen ist höchst unbefriedigend. Ein Gespräch mit Gerald Leitner, Geschäftsführer des Büchereiverbands Österreich (BVÖ) und Präsident der Europäischen Bibliotheksverbände.

KURIER: Sie treten seit Jahren für ein Bibliotheksgesetz ein. Wie ist der Stand der Dinge?
Gerald Leitner: Die Kulturnation Österreich gehört zu dem einen Drittel von 27 europäischen Staaten, die kein Bibliotheksgesetz haben. Erfreulicherweise waren die Bibliotheken aber erstmals Teil des Regierungsprogramms. Mit Ministerin Claudia Schmied und den Beamten gab es gute Gespräche, Entwicklungskonzepte wurden besprochen. Wenn die neue Regierung diese Vorarbeiten nicht aufnimmt, bleibt es wieder beim Lippenbekenntnis.

Warum ist eine gesetzliche Regelung so wichtig?
Die Situation ist ein absolutes Unikum: 90 Prozent der Bibliotheken werden ehrenamtlich betreut, was, bei allem Engagement, z. B. benutzerunfreundliche Öffnungszeiten zur Folge hat. Das ist der höchste Anteil in Europa. Der Bund müsste, gemeinsam mit den Ländern, Anreize für Verbesserungen geben. Derzeit finanzieren die Träger (Städte und Gemeinden, Pfarren, AK und ÖGB, Anm.) 95 Prozent der Bibliotheksarbeit. Da fehlt der Motor zur Modernisierung.

Welche Veränderungen wären am nötigsten?
Eine bessere Ausstattung, mit Internet, digitalen Medien, aber auch größere Räume. Damit eine Bibliothek nicht nur Ausleihstation, sondern ein atmosphärisch angenehmer und integrativ wirkender Ort der Kommunikation ist. Es bräuchte Geld, damit das Personalbezahlt und geschult, für neue Servicebereiche sensibilisiert werden kann.

Immerhin hat Wien eine moderne, neue Bücherei, und Linz und Salzburg ziehen nach ...
Ja, daran kann man schön den Zugpferd-Effekt sehen. Aber es soll in allen Bundesländern, auch in kleinen Gemeinden, ein befriedigendes Angebot geben. Und, so toll unsere Hauptbücherei mit 6.000 m² ist: In Amsterdam wurde letztes Jahr eine neue mit 28.000 m² eröffnet.

Gibt es direkte Zusammenhänge zwischen dem finanziellen Einsatz für Bibliotheken und der Nutzung und Bildung der Bürger?
Natürlich, Finnland hat da z. B. Vorbildcharakter: Es hat tolle PISA-Ergebnisse, Schulen und Bibliotheken arbeiten eng zusammen. Pro Person werden dort jährlich 50 bis 60 Euro dafür investiert, 50 Prozent der Bevölkerung sind eingeschriebene Nutzer. In Österreich geben Bund und Länder nur 5 Euro pro Person dafür aus. Und nur 10 Prozent der Bevölkerung nutzen eine Bibliothek.

Sollten die Vorarbeiten für ein Bibliotheksgesetz wieder aufgenommen werden – wie lange würde es dauern, damit sich etwas ändert?
Damit ein nationales Konzept wirklich greift, braucht man Jahre. Und es muss direkt, z. B. im Kampf gegen Analphabetismus, in die Kulturpolitik eingebunden sein. Österreich kann es sich nicht leisten, dass das jetzt wieder liegen bleibt.

Artikel vom 16.10.2008 10:02 | Caro Wiesauer

Von den Schlafsälen in den Park

Im Standard wird über die Enthüllung eines Denkmals berichtet, Robert Newald kommentiert in seinem Fotoblock und Joseph Gepp schreibt dazu im Falter:

"Was war das für eine Veranstaltung neben dem Donauturm, das letzte Zucken einer ideologisch aufgeladenen Sozialdemokratie. 200 Menschen waren zur Enthüllung gekommen, Lateinamerikaner, Altkommunisten, Vollbartträger, rote Sterne auf Kappen und Westen. Der SPÖ-Pensionistensprecher Karl Blecha hielt eine Rede: Er habe ihn, Ernesto Guevara, noch persönlich gekannt und in den 60ern bei einem Kongress in der algerischen Hauptstadt getroffen. Und dann sprach er von den Bildern des „großen Che", die „zu Recht bis heute in den Schlafsälen der Studentenheime hängen" würden. Ihm kamen fast die Tränen. Ein Kubaner sagte: „Hasta la victoria siempre", während hinter ihm die kleine Liliputbahn vorbeituckerte(...)"

Ich finde auch, dass das Dings in jeder Hinsicht eher auf die Jesuitenwiese gehört hätte, von wo mit guten Augen möglicherweise die Liliputbahn gesehen werden könnte und nicht die Donauparkbahn. Aber irgendwie passt auch das dazu. So wie die FPÖ-Demonstranten.





Bankenkrise 2008. Ein Schüttler.

Angesichts der vielen ungeduldigen und zum Teil aggressiven KundInnen kostet es die Bankbeamten jedes Mal aufs Neue einige Überwindung, ihren undankbaren Dienst anzutreten.
Doch zumeist fügen sie sich ins Unvermeidliche:
"Auch wenn uns nie die Massen küssen
Wir werden an die Kassen müssen!"







Advent im Oktober

Wenn die Serotonin-Hemmer nicht greifen und die Lichttherapie nicht wirkt, wenn selbst morgendliche Sonnenstrahlen als graue Masse daher kommen, dann ist Adventzeit im frühen Herbst. Wenn die gallischen Dörfer des Inneren vergeblich auf den Zaubertrank warten, jedes Ableben als das dumme "Carpe Diem" die Schläfen zerdeppert, dann ist jene Zeit, in der jeder Romanschluss als dilettantisch erscheint und politische Ereignisse ausschließlich als Wiedergänger daherkommen: der Pöbel triumphiert und die Linke versagt. Doch kein messianisches Recycling ist zu erwarten, sondern ein Advent, der sich in die Kalten Tage des Februars hineinzieht, ins Posthistoire  des utopischen Geistes.
Vielleicht hat Hofer die Lebkuchen schon im Angebot.